Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
Mitglieder des Franziskanerkonventes kannte.
Melusine runzelte die Stirn und wippte auf den Absätzen ihrer Stiefeletten hin und
her. Wie dem auch sei, schlussfolgerte sie, kurz davor, das anhaltende Schweigen
zu brechen. Vor diesem Mönch, so zurückhaltend er sich auch geben mochte, musste
man auf der Hut sein. Sonst würde er einen um den Finger wickeln.
Im Handumdrehen.
Es war der Minorit, welcher schließlich das
Wort ergriff, nicht sie. Nach außen hin betont kühl, ließ Melusine ihn gewähren,
auch dann, als er auf den Mord an ihrer Stiefmutter zu sprechen kam. Da ihr Letztere
nicht nur gleichgültig, sondern auch aus tiefster Seele verhasst gewesen war, fiel
es ihr nicht schwer, Haltung zu bewahren und die Fragen, mit denen er sie bestürmte,
der Reihe nach zu beantworten.
Als es um ihr Alibi für die Tatzeit ging, war
es mit Melusines Ruhe jedoch vorbei. Zum ersten Mal während der Unterredung mit
dem Klosterbruder stieg Unmut in ihr auf, weniger deshalb, weil sie keine Antwort
parat hatte, sondern weil der Mönch plötzlich innehielt und sie mit verblüffter
Miene musterte. Auf ihre Frage, ob ihm nicht wohl sei, hatte er lediglich ein paar
Floskeln parat und obendrein große Mühe, sich auf das Thema, will heißen, auf die
Fragen zu konzentrieren, die den jähen Tod ihrer Stiefmutter und deren Lebenswandel
zum Inhalt hatten.
»Mord durch Erdrosseln, Bücherwurm. Irrtum ausgeschlossen.«
Voll und ganz auf den Franziskanermönch konzentriert, der ihre Aufmerksamkeit restlos
in Anspruch nahm, hatte Melusine von dem dunkelhaarigen Recken im Hintergrund zunächst
kaum Notiz genommen. Erst jetzt, da er sich aufrichtete, den Nacken knetete und
sich laut aufseufzend umdrehte, fiel ihr auf, um wen es sich bei dem Gefährten des
Franziskanermönches handelte.
Ohne jeden Zweifel stellte dies eine Überraschung,
wenn nicht gar einen weiteren Dämpfer für sie dar. Der Hüne im dunklen Wams, den
Beinlingen aus Hirschleder und den Stulpenstiefeln war weiß Gott kein Unbekannter
für sie, und das beruhte natürlich auf Gegenseitigkeit. Rein äußerlich die Beherrschtheit
in Person, wurde Melusine von schleichendem Unbehagen gepackt. Zwei Spürhunde auf
einmal, das verhieß nichts Gutes, zumal der Vogt, welcher sie stirnrunzelnd musterte,
seinem Gefährten in nichts nachzustehen schien. Die Baderstochter atmete tief durch.
Wenigstens, tröstete sie sich, weiß sich der Herr zu benehmen, weshalb sie die Verbeugung,
zu der er sich bequemte, mit einem knappen Kopfnicken erwiderte.
»Wie ich sehe, sind die Herrschaften miteinander
bekannt.« In der Stimme Bruder Hilperts, der seine Verblüffung nicht zu verbergen
vermochte, schwang so etwas wie Tadel für den Gefährten mit, wenngleich Letzterer
so tat, als bemerke er ihn nicht. »Umso besser, dann können wir ja in medias res [68] gehen!«
*
»In medias res? Nichts dagegen!«, ergriff Berengar das Wort, nachdem
er die Anwesenden der Reihe nach gemustert hatte, und durchpflügte sein schulterlanges
dunkles Haar. »Tretet näher, Eminenz. Und auch Ihr, Jungfer, aber nur, falls Euch
der Kummer nicht übermannt.«
»Das musste doch wirklich nicht sein, oder?«,
raunte Bruder Hilpert dem Gefährten ins Ohr, dessen Hang zum Sarkasmus ihm den letzten
Nerv tötete. Und so versuchte er, die Baderstochter mit den Worten zu besänftigen:
»Ihr müsst entschuldigen, Jungfer – der Herr Vogt meint es nicht so.«
»Doch«, murmelte Berengar trotzig vor sich hin,
während Bruder Hilpert neben ihn trat und den Blick auf das entblößte Antlitz von
Violante Aschenbrenner richtete. »Aber davon später mehr.«
»Wie einfühlsam. Nun gut, lass hören.«
»Auf die Gefahr, mich zu wiederholen –«, begann
Berengar und ließ Melusine, die auf der gegenüberliegenden Seite des Schragentisches
stand, dabei nicht aus den Augen, »die Indizien sprechen dafür, dass Eure Stiefmutter
erdrosselt worden ist.«
»Erdrosselt?«
»Gewiss doch, Bader. Vermutlich mit einer Schnur.
Wobei sich die Frage erhebt, ob Ihr wirklich so unschuldig seid, wie Ihr tut.«
»Bleib bei der Sache, Berengar.«
»Wie Eure Heiligkeit wünschen.« Berengar holte
tief Luft, unterließ es jedoch, weiter Öl ins Feuer zu gießen und deutete stattdessen
auf den Striemen, welcher den Hals der Toten verunzierte. Auf den ersten Blick sah
er wie ein purpurfarbenes Halsband aus, was der schneeweißen Haut, auf welcher der
Tod noch keinerlei Spuren hinterlassen hatte, eine ans Morbide grenzende
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