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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Gesprächspartnerin
auf Anhieb gefiel. Hier droben war es zwar ein wenig kalt, aber das war es im Dormitorium
des Klosters auch. Hauptsache, es gab eine Truhe, in der man seine Habseligkeiten
verstauen, eine Bettstatt, auf der man nächtigen, und eine Wolldecke, unter der
man sich des Nachts ein wenig aufwärmen konnte. Und natürlich ein Stehpult für die
Korrespondenz. Viel mehr brauchte es nicht, um ihn zufriedenzustellen, und je länger
er sich in der Dachkammer umsah, desto mehr drängte sich ihm der Eindruck auf, dass
die Baderstochter seine Vorlieben teilte.
    »Sokrates, mein Rabe.« Als könne sie Gedanken
lesen, kam die junge Frau einer Frage aus Bruder Hilperts Munde zuvor, näherte sich
dem Vogelbauer, welcher unmittelbar neben ihrem Stehpult hing, und murmelte ein
paar Worte, bei deren Klang sich das pechschwarze Gefieder des Tieres zu spreizen
begann. »Apropos – falls Ihr denkt, ich sei eine Hexe, schlagt es Euch aus dem Kopf.
Von Zauberei und schwarzer Magie habe ich noch nie etwas gehalten.«
    »Von Heilkunde, scheint mir, dagegen umso mehr.«
    »Ist das etwa verboten?«
    »Keineswegs!«, beteuerte Bruder Hilpert, auf
der Suche nach einer Antwort, die so unverbindlich wie möglich klingen sollte. »Nur
ein wenig …«
    »Ungewöhnlich?«
    Bruder Hilpert schmunzelte. »Wie schön, dass
wir uns diesbezüglich einig sind«, konstatierte er und ging dazu über, den Spieß
umzudrehen. »Erlaubt mir, dass ich Euch noch ein paar Fragen stelle.«
    »Profan ausgedrückt: Ihr wollt wissen, wie es
kommt, dass sich die Tochter eines Baders für Bücher interessiert. Wo ich doch gut
daran täte, die Finger davon zu lassen.«
    »Falsch geraten«, erwiderte Bruder Hilpert prompt.
»Ich frage mich, wer Euer Lehrmeister gewesen ist.«
    »Mein Vater.«
    »Und wer noch?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Und was für eine.«
    »Mit Verlaub – ich wüsste nicht, welche.«
    »Aber ich.« An den Eichenbalken gelehnt, auf
dem der massive Dachfirst ruhte, legte der Bibliothekarius eine Kunstpause ein und
betrachtete die Baderstochter aus der Nähe. Das tat er immer dann, wenn er seine
Gesprächspartner aus der Reserve locken oder zu unbedachten Äußerungen verleiten
wollte, nicht selten mit durchschlagendem Erfolg. Im Falle von Melusine Aschenbrenner,
die ihm etliche Rätsel aufgab, stieß er diesbezüglich jedoch an seine Grenzen. Ohne
eine Miene zu verziehen, dachte diese offenbar nicht daran, ihr Schweigen zu brechen,
und es bedurfte des Nachhakens, um den Dialog nicht abreißen zu lassen.
    Und einer Frage, mit der er die Baderstochter
aus der Reserve locken konnte. »Es handelt sich um Bruder Alban, nicht wahr?«
    »Und wenn schon – was kümmert’s Euch?« Zum ersten
Mal seit ihrem Aufeinandertreffen drohte das abgeklärt wirkende Gebaren der 22-Jährigen
ins Wanken zu geraten, und obwohl sie es zu überspielen versuchte, war das Zittern
ihrer Stimme nicht zu überhören. »Ich wüsste nicht, was dagegen spräche, wenn er
mir seine Bücher ausleiht.«
    »Die Tatsache, dass er Euch Lesen und Schreiben
beigebracht hat, nicht zu vergessen.«
    »Ihr haltet Euch wohl für ziemlich schlau, was,
Bruder?«
    »Mit Schläue, verehrte Jungfer, hat dies nichts
zu tun.« Der Bibliothekarius sah sein Gegenüber mit unbewegter Miene an. »Ich habe
mir lediglich erlaubt, die Gesetze der Logik zu bemühen. Und liege, wenn ich Euch
so betrachte, keineswegs falsch damit.«
    »Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, was es heißt,
auf sich selbst angewiesen zu sein? Als Frau, meine ich?«
    Bruder Hilpert entfernte sich von dem Dachbalken,
an dem er Halt gesucht hatte, und bewegte sich gemessenen Schrittes auf die Baderstochter
zu. »Falls Ihr damit andeuten wollt, dass man als Frau nicht viel zu lachen hat,
kann ich es Euch gut nachfühlen, Jungfer.«
    »Wie bitte? Nichts zu lachen? Euren Hang zur
Untertreibung in allen Ehren, Bruder, aber ich glaube, dass Ihr da nicht mitreden
könnt.«
    »Wenn Ihr es sagt, muss es ja wohl stimmen.«
    »So, muss es das.« Die Tochter des Baders löste
sich aus ihrer Erstarrung und trat ihrem Gesprächspartner erhobenen Hauptes gegenüber.
»Ich weiß ja nicht, Bruder, wie viele goldene Löffel Euch in die Wiege gelegt wurden,
aber …«
    »Aber?«
    »Ich weiß, was es heißt, wenn sich kein Mensch
um einen kümmert.«
    »Und Eure Mutter?«, lauerte Bruder Hilpert in
der Hoffnung, die Baderstochter aus der Reserve locken zu können. »Was war mit ihr?
Die leibliche, meine ich.«
    »Ist gestorben, als ich vier

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