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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Anziehungskraft
verlieh. Violante Aschenbrenner war eine attraktive Frau, bildhübsch – um es akkurat
auszudrücken. Das heißt, sie war es gewesen. Selbst jetzt, Stunden nach ihrem Tod,
hatte es den Anschein, als ruhe sie sich lediglich ein wenig aus. Ihr Haar, anziehend
wie eh und je, glänzte im Schein der Fackeln, und der Rubin auf der wie in Marmor
gemeißelten Stirn blitzte tückisch auf. Wie betäubt von dem bizarren Spektakel,
wusste Berengar sich nicht anders zu helfen, als der Toten die Augen zu schließen,
und selbst dann, nach vollendeter Tat, konnte er die seinigen nicht abwenden. Um
nicht aufzufallen, aber auch, um sich auf seine Aufgabe zu besinnen, wandte er sich
schließlich an seinen Freund, der ihn mit aufmerksamem Blick musterte. »Eindeutiger
geht es wohl nicht, oder?«
    »Nein.« Wie immer, wenn er mit der Bestie im
Menschen konfrontiert wurde, verspürte Bruder Hilpert tiefe Beklommenheit und benötigte
Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Hinter jedem Mord, ganz gleich welcher Art, steckte
eine menschliche Tragödie, und er fragte sich, was den Mörder von Violante Aschenbrenner
zu seiner Tat veranlasst haben mochte.
    Eine Frage, die sich für Berengar offensichtlich
nicht stellte. »Mir scheint, die Liebenden sind sich in die Haare geraten«, verkündete
er mit Blick auf seinen Nebenmann, der die Bemerkung, die ihm herausgerutscht war,
einfach überging. »Oder was meinst du, Bücherwurm?«
    »Ich meine, wir sollten keine voreiligen Schlüsse
ziehen, mein Freund.«
    »Wie du willst, Mönch, dein Wille geschehe«,
entgegnete Berengar, zog das Leinentuch über das Gesicht der Toten und sah die Anwesenden
der Reihe nach an. Zu guter Letzt blieb sein Blick an seinem Gefährten haften, der,
so hatte es den Anschein, mit den Gedanken überhaupt nicht bei der Sache war.
    »Mit einer Schnur, sagst du?«, flüsterte dieser
schließlich vor sich hin, während sein Blick ziellos im Raum umherirrte. »Könnte
durchaus sein.«
    »Könnte, muss aber nicht.«
    »In der Tat, alter Freund.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    »Ich? Nun, ich denke, es wird Zeit, auf Entdeckungsreise
zu gehen.«
    »Wohin denn?«
    »Na, durchs Haus – wohin denn sonst?« Ohne die
übrigen Anwesenden zu beachten, richtete Bruder Hilpert sein Augenmerk auf die Baderstochter,
welche den Blick mit versteinerter Miene erwiderte. »Ich hätte da eine Bitte, Jungfer.«
    »Und die wäre?«
    »Würdet Ihr so gut sein und mich ein wenig herumführen?
Wer weiß, auf welche Geheimnisse wir noch stoßen!«
     
    *
     
    »Galen, Plinius, Hippokrates – höchst anregend, was Eure Kammer zu
bieten hat, Jungfer.«
    »Findet Ihr?«
    Bruder Hilpert gab ein bekräftigendes
Nicken von sich. Beim Durchforsten des Bücherregals, auf das jede Klosterbibliothek
stolz gewesen wäre, hatte es ihm glatt die Sprache verschlagen, und dementsprechend
schwer fiel es ihm, sich davon loszureißen. Bücher, Folianten, Kodizes und Pergamentrollen
waren nun einmal sein Leben. Ihretwegen war er Bibliothekarius und nicht etwa Kantor
oder Sakristan geworden. Sein Ein und Alles, Quelle des Trostes, Gegenstand wissenschaftlicher
Neugierde, Schutz und Schirm vor den Fallstricken dieser Welt. Kaum hielt er einen
jener schweinsledernen Einbände in der Hand, war die Welt ringsum vergessen. Egal,
wie sehr sie ihn in Mitleidenschaft zog. Dann gab es nur noch ihn, Hilpert, und
die mit Blattgold bestrichenen Lettern, die reich verzierten Initialen und die in
sämtlichen Farben des Regenbogens erstrahlenden Ornamente, in denen sein Blick buchstäblich
ertrank und deretwegen er Zeit, Ort und irdische Pein vergaß.
    Der Blick des Bibliothekarius
verklärte sich, und es fiel ihm schwer, den Gesprächsfaden nicht zu verlieren. Kein
Zweifel, Bücher waren sein Leben, und es gab nur einen, den er mehr liebte als sie:
Gottvater, seinen Herrn.
    »Ja, finde ich!«, pflichtete
Bruder Hilpert der Tochter des Hauses im Brustton der Überzeugung bei, nicht ohne
einen Hauch von Wehmut, wie Letztere erstaunt konstatierte. »Vergebt mir meine Kühnheit,
Jungfer, aber darauf war ich nun wirklich nicht gefasst.«
    »Auf meine Bücher oder
darauf, dass sie sich im Besitz einer Evastochter befinden?«
    »Das ist also Euer Domizil.« Da er keinen Disput
vom Zaun brechen wollte, ging Bruder Hilpert über die ironische Bemerkung hinweg
und durchmaß die Dachkammer, in die es ihn verschlagen hatte. Diese war alles andere
als geräumig, dafür aber so gemütlich, dass ihm das Refugium seiner

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