Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
Vergangenheit an, und er fragte sich, welch neuerliche
Überraschung er erleben würde. »Was genau führt Euch hierher?«
»Eine offene Rechnung, Bruder«, räumte der Angesprochene
ein, ein Lächeln auf den Lippen, das Bruder Hilpert nicht recht zu deuten wusste.
»Mit einem gewissen Herrn Bermetter, falls Euch der Name etwas sagt.«
Fünftes Kapitel
Gula [70]
22
Kloster der Dominikanerinnen, eineinviertel Stunden vor Mitternacht │ [22.45 h]
»Helft mir, Schwester!«, presste Irmingardis hervor. »Um der Liebe
Christi willen, steht mir bei!«
Auf die Ellbogen gestützt,
bäumte sich Berengars Verlobte auf, und während sie sprach, perlte der Schweiß auf
ihrer Stirn. Ihr Körper, ohnehin nicht sehr robust, zuckte krampfartig zusammen,
und eine Schmerzwoge reihte sich an die nächste. Die Tortur, so schien es, wollte
kein Ende nehmen, genauso wenig wie die Sorgen, welche sie sich um Berengar machte.
Er war es, um den ihre Gedanken kreisten, auf den sie wartete, auf dem all ihre
Hoffnungen ruhten. Sehr bald, vielleicht noch in dieser Nacht, würde sich ihr Schicksal
entscheiden, und wenn es jemanden gab, der ihr Mut zusprechen konnte, dann er.
Auf ihre Tante, die sich
wie eine Furie gebärdete, konnte sie dagegen nicht bauen. Jutta von Nordenberg war
nun einmal so, wie man sie kannte, sittenstreng, nachtragend und darauf bedacht,
ihr die kalte Schulter zu zeigen. Die Gepeinigte stieß ein gequältes Keuchen aus.
Es wäre besser gewesen, Berengar über ihren Zustand aufzuklären, ihm reinen Wein
einzuschenken, auf seine Unterstützung zu bauen. Nur so wäre die Katastrophe, in
die sie hineinzuschlittern drohte, noch abzuwenden gewesen.
Blieb die Frage, wie Bruder
Hilpert auf die Enthüllung ihres Geheimnisses reagieren würde. Die Freundschaft
mit ihm bedeutete Berengar sehr viel, was die Lage, in der sie sich befand, nicht
unbedingt einfacher machte. »Habt Vertrauen, meine Tochter: Mit Gottes Hilfe wird
sich alles zum Besseren wenden.« Die gute alte Scholastika, Helferin in der Not.
Mochte Jutta auch Gift und Galle spucken, ihr Vorhaltungen machen, der in ihren
Augen missratenen Nichte mit Hölle und Fegefeuer drohen, auf Schwester Scholastika,
die betagte Leiterin des Infirmariums [71] , war
wenigstens Verlass. Sie wachte an ihrer Seite, hielt ihre Hand, betete für sie,
trocknete ihr die schweißglänzende Stirn. Und munterte sie auf, wenn die Krämpfe,
unter denen sie litt, die Oberhand zu gewinnen drohten. »Das weiß ich gewiss.«
»Euer Gottvertrauen in allen Ehren«, gab Irmingardis
unter Aufbietung all ihrer Kräfte zurück und fragte sich, wie lange ihr Martyrium
noch dauern würde. »Aber ich fürchte …«
»Fürchte Gott, mein Kind, und dir wird geholfen
werden!«, hielt die Alte mit einer Entschiedenheit dagegen, welche Irmingardis unvermittelt
innehalten ließ. »Mehr wird von dir nicht verlangt.«
»Und was, wenn Er mir nicht hilft?«
»Dann, mein Kind«, sprach die Schwester Infirmaria,
erhob sich und begab sich gemessenen Schrittes zur Tür, von wo aus sie einen betrübten
Blick auf ihr Krankenlager warf, »dann, fürchte ich, ist guter Rat teuer!«
*
»Aber Schwester, wir können doch nicht mit ansehen, wie sie stirbt!«
»Armut, Keuschheit, Gehorsam. Oder, um mit dem
heiligen Benedikt zu reden: ›Primus humilitatis gradus est oboedientia sine mora.‹ [72] Wer daran rüttelt,
versündigt sich gegen den Herrn. Ich hoffe, Schwester Hildegard, Ihr seid Euch dessen
bewusst.«
»Gehorsam oder nicht – wir müssen etwas tun.«
Ohne sich auf Diskussionen einzulassen, schritt Schwester Hildegard, beherzte Köchin
des Dominikanerinnenkonvents, kurz entschlossen zur Tat und trat an das Regal, in
dem sie die Ingredienzen für ihren Kräutersud aufbewahrte. Trotz ihres jugendlichen
Alters und der Tatsache, dass sie vor gerade einmal acht Monaten in den Konvent
eingetreten war, stand sie im Ruf, der Priorin in puncto Hartnäckigkeit durchaus
ebenbürtig zu sein. An ihr, der couragierten, durch nichts zu erschütternden und
scharfzüngigen Kaufmannstochter aus Würzburg, hatte sich die Oberhirtin bislang
die Zähne ausgebissen, und vieles deutete darauf hin, dass dieser Zustand von Dauer
sein würde. »Ob es der Priorin passt oder nicht.«
Von Natur aus nachgiebig und konziliant, ließ
die nahezu zwei Generationen ältere Infirmaria ihre Mitschwester gewähren und zog
sich in den hintersten Winkel der geräumigen Küche zurück. Schwester Hildegard hingegen
eilte zum Herd,
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