Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
oder Saft einweichen. Die Masse in einem Mörser zerreiben.
Viel Honig und Zucker und Butter zugeben und bei kleiner Flamme und unter fortwährendem
Rühren verdunsten lassen. Soweit die Instruktionen, welche Ihr mir für Euren Nachschlag
zu erteilen geruhtet, Mutter! Keine Bange, ich bin gleich damit fertig.«
»Falls du denkst, meine Tochter, ich könne dir
nichts anhaben, so irrst du – und zwar gewaltig.«
»Oder Ihr, Mutter – je nachdem.«
»Was soll das heißen?«, lauerte die Priorin
und bewegte sich Zoll um Zoll auf die Köchin zu. Im Gegensatz zur Mehrheit ihrer
Mitschwestern, die spätestens jetzt der Mut verlassen hätte, hielt diese dem Blick
der Klostervorsteherin jedoch stand. »Raus mit der Sprache, oder ich werde dich
dazu zwingen.«
Die Köchin dachte jedoch nicht daran, klein
beizugeben. »Besser, Ihr kümmert Euch um Eure Nichte, Mutter. Sonst wird sie die
Nacht nicht überstehen.«
»Darf man fragen, was dich das angeht, Schlange?
Und was du von medizinischen Dingen verstehst?«
»Genug, um zu wissen, dass sie der Hilfe bedarf.
Sonst wird sie nicht nur ihr Kind, sondern höchstwahrscheinlich auch ihr Leben verlieren.«
»Das, liebe Tochter, lässt du am besten meine
Sorge sein!« Puterrot vor Zorn, reckte die mindestens einen Fuß kleinere Priorin
den Hals empor und zischelte: »Sonst sehe ich mich gezwungen, dich bloßzustellen.
Und zwar so, dass du gezwungen sein wirst, vor mir zu Kreuze zu kriechen. Im Beisein
deiner Mitschwestern, wie ich wohl nicht eigens betonen muss.«
»Fragt sich, aus welchem Grund.«
Die Priorin kicherte in sich hinein. »Wem, glaubst
du, würde man eher Glauben schenken – dir oder mir?«
»Kommt drauf an, um was es sich handelt.«
»Um Diebstahl, meine Tochter«, flötete Jutta
von Nordenberg, ein heimtückisches Lächeln im Gesicht, wandte sich um und rauschte
amüsiert von dannen. »Diebstahl von Vorräten, Entwenden von Küchengeräten, Verhökern
von Klostereigentum, Vernachlässigung deiner Pflichten – ganz, wie es dir beliebt!«
23
Franziskanerkloster, Ende der sechsten Nachtstunde │ [23.00 h]
›Und nochmals sagte er: Mein Herr, zürne nicht, wenn ich nur noch einmal
das Wort ergreife. Und wiederum sprach er: Ich werde sie um der zehn willen nicht
vernichten. Nachdem der Herr das Gespräch mit Abraham beendet hatte, ging er weg,
und Abraham kehrte heim.‹ [75] Feuer und Schwefel, ein Strafgericht wie in Sodom und Gomorrha? Bruder
Hilpert legte die Handflächen aneinander und ließ das Kinn auf den Kuppen seiner
Finger ruhen. Wie töricht von mir, dachte er, was für Gedanken. Im Gegensatz zu
dem Tag, als Abrahams Neffe Lot Sodom verließ, würde es heuer wohl kaum Feuer und
Schwefel vom Himmel regnen. Die Frage, ob es ihm gelingen würde, zehn Gerechte aufzustöbern,
stand dagegen auf einem anderen Blatt. Außer ihm und Berengar, den er mit der Beobachtung
des Badehauses betraut hatte, kam ihm alles und jeder verdächtig vor, und er fragte
sich, wie lange dieses Katz-und-Maus-Spiel noch dauern würde.
Bruder Hilpert gab ein desillusioniertes Schnauben
von sich. Kaum hatte er den Kasus übernommen, war eine Lawine ins Rollen gekommen,
von der er nicht wusste, ob sie je zum Stillstand kommen würde. Ein Mord, ein besonders
dreister Fall von Leichendiebstahl und darüber hinaus die Frage, wer hinter der
Grabschändung auf dem Schindanger steckte. Des Schlechten eindeutig zu viel, wäre
da nicht dieser Notarius aufgetaucht, der ihm half, Licht ins Dunkel der mysteriösen
Vorfälle zu bringen. Diesem bei Berengar nicht unbedingt hoch im Kurs stehenden
Federfuchser war es zu verdanken, dass die Lösung des Falles in greifbare Nähe gerückt
war. Ihm, dem Zufall und einer gehörigen Portion Glück.
Anlass zur Euphorie? Mitnichten. Kein Gericht
der Welt, auch das hiesige nicht, würde ein Urteil fällen, das lediglich auf Hypothesen
beruhte. Das war so sicher wie das Amen am Ende des Tedeums. Und ein Grund mehr,
seine Widersacher nicht zu unterschätzen.
»Habt Ihr mir überhaupt zugehört, Bruder?«
»Gewiss doch, Notarius, gewiss.« In Gedanken
bereits bei seinem nächsten Schritt, ließ Bruder Hilpert die Frage unbeantwortet
und führte das Kreuzverhör fort. »Und da dem so ist, gleich die nächste Frage.«
»Und die wäre?«
»Warum gerade ich, Meister Nyeß – ein Mann,
der Euch noch nie über den Weg gelaufen ist?«
»Ganz einfach, Bruder. Weil die Wände in dieser
Stadt Ohren haben. Und mitunter sogar Augen.«
»Frank und
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