Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
hantierte mit Mörser, Stößel und Töpfen, setzte Wasser auf und war
so sehr in die Zubereitung ihres Elixiers vertieft, dass sie alles um sich herum
vergaß. Von dem Gebräu aus Baldrianwurzel, Pfefferminze und Schafgarbe pflegte man
sich wahre Wunderdinge zu erzählen, worüber sie, die sie es kreiert hatte, mehr
als nur Genugtuung empfand.
Mindestens ebenso stolz war sie indessen auf
ihr Reich, die Küche, in der sie auf das Penibelste Ordnung hielt. Prunkstück des
Ganzen war der Kamin, der einzige Ort, an dem sie und ihre Mitschwestern sich aufwärmen
konnten. Auf dem Herd, mehrere Schritte im Quadrat groß, wurden täglich über 50
Mahlzeiten zubereitet, wobei sich die Begeisterung darüber oft in Grenzen hielt.
Wenn überhaupt, wurde tagsüber nur ein kurzer Imbiss gereicht, getreu der Regel,
nach der die Nonnen lebten. ›Ora et labora!‹ [73] lautete auch hier die Devise,
was nicht wenige der vornehmen Insassinnen verdross. Hinzu kam der dreistündige
Gebetsturnus und, von Hildegard nicht selten verletzt, das für Jedermann gültige
Schweigegebot.
An knurrenden Mägen herrschte folglich kein
Mangel, vor allem nicht nach der Coena [74] , die in der Regel aus Brot, Bohnen und heimischen Obstsorten
bestand. Fleischgenuss galt als unschicklich, der Verzehr von Fisch dagegen als
legitim. Getrunken wurde in der Hauptsache Wein, kein Wunder angesichts der Rebenhänge,
welche zum Eigentum des Klosters zählten. Insbesondere die Priorin, hieß es, sei
dem einen oder anderen Becher nicht abgeneigt, worüber allerdings nur hinter vorgehaltener
Hand getuschelt wurde. Vor der ›elften Plage‹ hatte jedermann Respekt, mit Ausnahme
von Schwester Hildegard, die in puncto Schlagfertigkeit ihresgleichen suchte.
»Ich hoffe, Ihr seid Euch über die Konsequenzen
Eures Tuns im Klaren.«
»Keine Sorge«, versetzte Schwester Hildegard
mit zuversichtlicher Miene, gab eine Mixtur aus Salbei, Minze und Liebstöckel in
ihren Trank und konnte der Versuchung, davon zu kosten, nicht widerstehen. »An mir
wird sich unsere …«
Die Köchin konnte von
Glück sagen, dass ihr das Wort, welches ihr auf der Zunge lag, nicht über die Lippen
kam. Das lag nicht etwa daran, dass sie Kraftausdrücke verschmähte oder davor zurückschreckte,
den Spitznamen der Priorin in den Mund zu nehmen. Sondern daran, dass die Infirmaria
ein unmissverständliches Räuspern ausstieß.
Wohl wissend, wie es zu deuten war, schluckte
Hildegard das Wort ›Heimsuchung‹ im letzten Moment hinunter und ließ sich durch
das unvermutete Auftauchen von Mutter Jutta auch dann nicht aus der Ruhe bringen,
als sie den Atem der Priorin bereits im Nacken spürte. »Darf man fragen, was das
soll, meine Tochter?«, schnarrte die Priorin, im Begriff, ihrem Beinamen alle Ehre
zu machen. »Und warum du dich meinen Anordnungen widersetzt?«
»Anordnungen?«
»Erstens: Ich bin es, die hier die Fragen stellt,
verstanden? Und zweitens: Was hast du mitten in der Nacht hier zu suchen?«
Die Antwort von Schwester Hildegard, nicht nur
in puncto Schlagfertigkeit, sondern auch bezüglich ihrer körperlichen Gestalt das
exakte Gegenteil der Priorin, ließ nicht lange auf sich warten. »Auf die Gefahr
hin, dass mir die Sinne einen Streich spielen, Mutter Oberin«, heuchelte sie mit
zuckersüßer Stimme und deutete auf die Drehlade, welche sich in der nordöstlichen
Ecke der Küche befand, »wart nicht Ihr es, die mich gebeten hat, die Rationen für
die Bedürftigen bereits heute Abend herzurichten? Des großen Ansturmes wegen, der
am Wochenende zu erwarten ist?«
»Wenn du es sagst, muss es ja wohl stimmen!«,
bellte die Priorin und inspizierte das halb aufgeschnittene Eichenfass, in das man
eine Ablage montiert hatte. Wurde von außen angeklopft, durften die Bittsteller,
in der Hauptsache Bettler, Pilger und sonstige Bedürftige, auf ein Stück Brot, Obst,
Schafskäse oder gar auf einen Teller Suppe hoffen. Besonders an Wochenenden war
der Andrang recht groß, weshalb sich Hildegard über Langeweile nicht beklagen konnte.
Auch und gerade dann, wenn die Priorin ihr einen Besuch abstattete. »Ich will dir
mal was sagen, Schwester«, giftete sie, nachdem sie die Infirmaria der Küche verwiesen
hatte und die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, »mit der Bitte, das Folgende
tunlichst zu beherzigen: Noch so ein Affront, und ich garantiere dir, dass dies
dein letzter Tag innerhalb dieser Mauern gewesen ist!«
»Das Trockenobst sortieren, klein schneiden
und in ein wenig Wein
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