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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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seine
Ränke spann. Luzifer, so seine feste Überzeugung, war nämlich überall. Darauf erpicht,
das Erdenrund stets aufs Neue zu verderben. Das Gleiche galt für die Hölle, die
dem Bösen stets auf dem Fuße folgte, oder, wie im vorliegenden Fall, immer dort
anzutreffen war, wo das Seelenheil des Menschen in Gefahr geriet.
    Davon konnte Bruder Hilpert ein Lied singen,
nicht erst seit heute, doch am heutigen Tage mehr denn je. Aus dem Kellerloch, in
welches er sich hinabtastete, stiegen übelriechende Dämpfe empor, Gerüche, welche
er nur zu gut kannte. Kurz davor, sich zu übergeben, klammerte sich Bruder Hilpert
an das Geländer und bewegte sich wie ein Schlafwandler in den schier endlos erscheinenden
Schlund hinab. Wahrhaftig, die Hölle war kein abgelegener Ort, kein verborgenes
Refugium des Bösen. Sie war real, sichtbar, zum Greifen nah. So nah, dass er am
liebsten Reißaus genommen hätte.
    Dass dies nicht möglich war, wusste er nur zu
gut, und so gab er sich einen Ruck, wischte Skrupel, Bedenken und innere Widerstände
beiseite und setzte seinen Weg fort, gefolgt von Deodatus, der jeden seiner Schritte
mit Argwohn beobachtete. Die Zeit, welche er dazu benötigte, kam ihm endlos vor,
doch dann, dank der Hilfe des Allmächtigen, war es endlich geschafft.
    »Schon gut, Deodatus –«, erhob sich eine Stimme
aus dem Halbdunkel, welches den Tisch in der Raummitte umgab, »du kannst nichts
dafür. Unser Gast meint es gut mit uns, hab ich recht?«
    Weder fähig noch willens, auf die Frage zu antworten,
schwieg sich der Bibliothekarius aus und inspizierte den Raum, in den es ihn verschlagen
hatte. Je eingehender er dies tat, desto mehr wuchs sein Erstaunen, und er konnte
sich nicht entsinnen, etwas Derartiges schon einmal gesehen zu haben. Mit Ausnahme
des Tisches, welcher beinahe die Hälfte des gewölbeartigen Kellergelasses beanspruchte,
war jeder Quadratzoll Boden mit Regalen, Wandschränken, eisenbeschlagenen Truhen
und Bottichen verschiedener Art und Größe belegt, die einen mit Spinnweben überzogen,
die anderen anscheinend häufig in Gebrauch. Bruder Hilpert verschlug es die Sprache.
Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit diesem Sammelsurium an Kräuterbüscheln,
Glaskolben, Mörsern, Stößeln, Retorten [79] , sowie einer wahren Flut von Folianten und Pergamentrollen,
welche in den bis an die Decke reichenden Regalen lagerten. Das Aufsehenerregendste
und zugleich Makaberste an dieser Hexenküche war jedoch ein menschliches Skelett,
das akribisch genau zusammengefügt und am Fußende des Tisches postiert worden war.
    »Ein Präsent unseres Henkers, Bruder, zum Wohle
künftiger Generationen.« Um zu erahnen, auf wen er hier treffen würde, waren übersinnliche
Fähigkeiten gewiss nicht vonnöten gewesen, und so hielt sich Bruder Hilperts Überraschung
in Grenzen, als sein Blick auf die Tochter des Baders fiel. Nach außen hin kühl
und gefasst, verriet ihre Stimme, unter welch ungeheurer Anspannung sie stand, kein
Wunder angesichts des Anblickes, welchen das zum Seziertisch umfunktionierte Eichenholzkonstrukt
bot.
    Drauf und dran, der Stätte des Grauens den Rücken
zu kehren, bezähmte Bruder Hilpert die Ekelgefühle, welche ihn beim Betrachten der
drei Leichname befielen und gesellte sich zu der Baderstochter, die mit versteinerter
Miene ans Kopfende des Seziertisches trat. Der Bibliothekarius erschauderte. Das
also war der Mensch, ein vergängliches, den Wechselfällen des Schicksals ausgeliefertes,
Tod und Verwesung anheimfallendes, dem Vergessen preisgegebenes Wesen. ›Lasciate
ogni speranza, voi ch’entrate!‹ [80] stand laut Dante am Höllentor geschrieben, und wenn es ein Diktum gab, an das er
sich in diesem Moment erinnert fühlte, dann an dieses.
    Bruder Hilpert atmete tief durch, den Blick
auf die Mittlere der drei Toten gelenkt. Das also war Tuchscherers Frau, ermordet,
aufgebahrt und aus Gründen, über die er einstweilen nur spekulieren konnte, hierher
verschleppt und im Anschluss daran seziert. Eine nicht mehr ganz junge, nichtsdestoweniger
jedoch robuste Frau, bei deren Anblick einem die Vorstellung, sie sei eines natürlichen
Todes gestorben, nachgerade absurd vorkam.
    »Ihre Tochter!«, nahm die Baderstochter Bruder
Hilperts Frage vorweg, nachdem er den Blick abgewandt hatte, um das gut eineinhalb
Fuß große Bündel zu seiner Linken zu betrachten. »Diagnose: Schädelfraktur.«
    Der Bibliothekarius ließ den Kopf hängen und
schwieg.
    Die Baderstochter tat es ihm zunächst

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