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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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heruntergekommenen Kate drang,
herrschte überall Totenstille, und es dauerte nicht lange, bis ihn eine dumpfe Vorahnung
beschlich. Ein Gefühl, das ihm riet, auf der Hut zu sein.
    Es sollte ihn nicht täuschen. Kaum hatte er
das Haus erspäht, auf das die Beschreibung der Heilerin passte, tauchte hinter einem
Bretterverschlag zu seiner Linken ein Schatten auf, so plötzlich, dass Bruder Hilpert
keine Zeit zum Reagieren blieb.
    Der Schatten war zu schnell für ihn, und das
war sein Glück. Einen Ausruf des Erstaunens auf den Lippen, wich Bruder Hilpert
zurück. Wie dumm, durchzuckte es ihn, dich leichtfertig in Gefahr zu begeben! Und
wie töricht, zu glauben, man könne den Fall im Alleingang lösen. Mit Berengar an
seiner Seite wäre ihm das nicht passiert. Der Bibliothekarius rang nach Luft. Egal,
was jetzt gleich passieren würde: Er hatte es sich selbst zuzuschreiben.
    Auf alles gefasst, kniff Bruder Hilpert die
Augen zusammen und harrte der Dinge, die da kommen mussten. Doch er wartete vergebens.
Kein Fausthieb, keine Tritte, kein Dolchstoß, keine Schwerthiebe. Und kein einziger,
wenn auch noch so gedämpfter Laut. Stattdessen Stille, Ratlosigkeit und das Gefühl,
Opfer der eigenen Einbildungskraft zu sein. Mit einem Wort – ein Mysterium. Wenn­gleich
eines, das nicht von Dauer war.
    Der erste Schock war gerade überwunden, als
unmittelbar vor ihm eine entstellte Fratze auftauchte. Der Bibliothekarius hielt
den Atem an. Im Widerschein des Lichtstrahls, der durch den Spalt zwischen den Fensterläden
zu seiner Rechten fiel, haftete ihr etwas Abstoßendes, um nicht zu sagen Dämonisches
an. Wider Erwarten jedoch fiel die Gestalt, welche seinen verblüfften Blick erwiderte,
nicht über ihn her oder zückte eine Waffe, um ihm den Garaus zu machen. Stattdessen
blieb der Unbekannte einfach stehen und ließ seinen Dolch aus der linken Hand gleiten,
mindestens ebenso erschrocken wie er. Die Fratze erstarrte, und mit ihr sämtliche
Gliedmaßen, welche Teil des deformierten, verkrüppelten, entstellten und über die
Maßen hässlichen Körpers eines Mannes waren, der, so schien es, mit der Ausschaltung
unliebsamer Störenfriede betraut worden war.
    »Was habt Ihr hier zu
suchen, Mönch?«, entfuhr es dem Müllkärrner, dessen Bestürzung zunächst in Verblüffung
und im Anschluss daran in ungläubiges Staunen umschlug. »Raus mit der Sprache, sonst
…«
    »Das, lieber Deodatus«,
erstickte Bruder Hilpert sein Aufbegehren im Keim, den Blick auf das eingebrannte
Kruzifix auf dessen Stirn gerichtet, auf welches der Lichtstrahl im gleichen Moment
fiel, »das möchte ich, falls möglich, mit deiner Herrin besprechen. Und zwar unter
vier Augen.« Der Bibliothekarius trat ins Licht, versenkte den Blick in sein Gegenüber
und sprach: »Oder muss ich dich daran erinnern, dass du mir noch einen Gefallen
schuldest?«
     
    *
     
    Der Florentiner Dante [78] , Bruder Hilperts bevorzugter Dichter und Philosoph,
war derjenige, an dem er sich gemeinhin zu orientieren pflegte. Zum einen galt dies
für das Erlernen des Italienischen, welches der Bibliothekarius neben dem Lateinischen,
Griechischen und der hebräischen Sprache nahezu perfekt beherrschte, darüber hinaus
für die Gaben, welche seinem Idol durch die Gnade Gottes zuteilgeworden waren. Zum
Dritten und in besonderem Maße galt dies aber auch für die Visionen, welche der
geniale Sprachkünstler vom Leben nach dem Tode entwickelt hatte. So zum Beispiel
im ersten Teil seines Hauptwerks, der ›Göttlichen Komödie‹, in welchem sich der
Hauptprotagonist auf einer Reise durch die Hölle befand.
    Es war genau dieser Teil, das ›Inferno‹, an
welches sich Bruder Hilpert erinnert fühlte, als er das Haus der alten Irmtrud und
im Anschluss daran das darunter liegende Kellergewölbe betrat. Und noch etwas wurde
dem Bibliothekarius beim Abstieg in die nur durch eine Öllampe erhellte Finsternis
klar: Die Hölle war kein ferner, tief unter der Erdoberfläche gelegener Ort. Es
gab kein Tor, durch das man sie betreten, keine Räume, die man durchschreiten, keine
Gräben, in die man hinabstürzen konnte. Weder gab es einen Fluss, welcher das Reich
der Schatten durchströmte, noch Wirbelstürme, noch Cerberus, den Höllenhund, Drachen,
Schlangen oder gar Teufel mit Bratspießen. Auch gab es keine unterirdischen Sümpfe,
Flammensärge, Blutströme, Wälder, Sandwüsten oder Seen aus Pech. Vor allem aber
gab es keinen Höllengrund, keinen Hort des Bösen, von dem aus der Leibhaftige

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