Engel der Schuld Roman
und dein verletztes m ä nnliches Ego und deine d ä mliche, kleinliche Eifersucht nicht mehr gefallen lassen. Damit bin ich fertig! Mit dir bin ich fertig . . . Du wohnst hier nicht mehr, Paul. «
Die Szene spielte sich vor seinem inneren Auge ab. Samstag abend. Mitch Holt war gekommen, um ihnen von Garrett Wrights Verhaftung zu erzählen.
Hannah würde sich von ihm scheiden lassen. Und alle würden sie ansehen und sagen: »Arme Hannah«. Keiner würde sehen, was er verloren hatte. Keiner würde sagen: »Armer Paul« . . . Außer Karen. Keiner verstand ihn, außer Karen.
Ein Gähnen drängte aus Ellens Mund, und sie gab sich ihm hin, streckte sich, ließ die dicke Daunendecke rascheln, die über ihren Beinen lag, was ihr einen müden Blick des Golden Retriever eintrug, der am Fußende des Bettes lag.
»Ich weiß, daß es spät ist, Harry«, sagte Ellen und schob ihre Lesebrille hoch. Sie machte es sich wieder in dem Berg von Kissen und zwischen den Gesetzbüchern bequem und kämpfte gegen ein weiteres Gähnen. Der würfelförmige Radiowecker auf dem Nachttisch aus Kirschholz verkündete, daß es fünfundzwanzig Minuten nach Mitternacht war. »Ich arbeite daran, daß der Kerl, der Josh entführt hat, hinter Gitter kommt.«
Der Hund winselte ein bißchen, so als hätte auch er die stundenlangen Berichte über die Entführung verfolgt.
Ellen ließ Minnesota Rules of Court - State and Federal in ihrem Schoß zufallen, als vor ihrem inneren Auge das Bild von Garrett Wright auftauchte. Das Bild, das er ihr im Verhörraum geboten hatte – blaß, verhärmt, zart: ein Opfer, kein Monster.
Es gab zwar Leute, die bereit waren, jedem die Schuld für diese Verbrechen zu geben, aber gab es auch jede Menge Leute in Deer Lake, die Garrett Wright nicht die Schuld geben wollten. Leute, die ihm vertraut, ihn respektiert, zu ihm aufgeblickt hatten. Die Studenten vom Harris College. Die Leute, die das Programm für jugendliche Straftäter unterstützt hatten, das er aufzubauen geholfen hatte. Da würde es Leute geben, die es nicht glauben wollten. Denn wenn ein Mann wie Garrett Wright so etwas Schreckliches zu tun imstande war, wem konnten sie dann noch vertrauen?
Wem kannst du vertrauen? Die Frage brachte eine Gänsehaut mit sich. Eine Erinnerung an alten Zynismus und hart erkämpfte Weisheit. Traue keinem.
Sie wollte nicht mehr glauben. Sie hatte ihre Lektion hinter sich, mit Fällen, in denen alles Schall und Rauch war, wo nichts so war, wie es schien, wo Feinde lächelnd daherkamen und mit einer Hand streichelten, während die andere das Messer tief ins Fleisch stieß.
»Lange her und weit weg«, murmelte sie, eine Zauberformel zur Abwehr der Erinnerungen.
Sie sah Wright vor einem dunklen Hintergrund. Er starrte sie mit Augen an, die bodenlose schwarze Löcher waren, seelenlos, starrte in sie hinein, durch sie hindurch. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln und ließen ihr Blut gefrieren. Er wußte etwas, das sie nicht wußte. Die Spielregeln. Das große Bild. Er sah in sie hinein und lachte über etwas, das sie nicht sehen konnte.
Dann verschwamm sein Bild und formte sich zu einem anderen. » Ich mache Ihnen Angst. Miss North? Sie scheinen mir aber nicht die Art Frau zu sein, die sich leicht ver ä ngstigen l äß t. « Er kam näher, beugte sich herab. Sie versuchte zurückzuweichen und stellte fest, daß sie wie angewurzelt war, unfähig sich zu bewegen. Sie konnte die Energie, die ihn umgab, spüren. Verf ü hrerisch. Das Wort wickelte sich um sie wie Kringel von Zigarettenrauch. » Vorgefa ß te Meinungen k ö nnen sehr gef ä hrlich sein . . . «
Ellen erwachte mit einem Schrei, der Harrys Kopf hochschnellen ließ. Ihr Herz hämmerte, ihre Brille saß schief. Sie nahm sie ab und legte sie mit zitternder Hand beiseite, während sie versuchte, ihr Gehirn wieder in Gang zu bringen. Ein Geräusch. Ein Geräusch hatte sie geweckt. Ein Knall oder ein dumpfer Aufprall, sie war sich nicht sicher. Sie hielt den Atem an und lauschte. Nichts. Aber tief in ihrem Hinterkopf flüsterte eine dunkle Stimme. » Wenn ich hinter Ihnen her w ä re . . . w ü rde ich . . . Ihnen nach Hause folgen, eine M ö glichkeit finden, ins Haus oder in die Garage einzusteigen . . . Sie erwischen, wo kaum Gefahr besteht, beobachtet oder gest ö rt zu werden. «
Die killerblauen Augen starrten sie aus den Seiten der Newsweek an, die sie aus dem Papierabfall gekramt hatte. Sie nahm das Magazin und betrachtete wütend sein Bild. Eine sehr
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