Engel der Schuld Roman
behandschuhten Hand. Er beugte sich über das Geländer und reichte Dorman den Umschlag. In ernstem Tonfall gemurmelte Worte wurden getauscht. Etwas Grelles, Raubtierhaftes blitzte in Costellos Augen auf, als er sich wieder an das Gericht wandte.
»Die Verteidigung ruft Karen Wright.«
Karen Wright setzte sich in den Zeugenstuhl. Ellen fragte sich, ob der dünne Schleier der Ruhe, der sie umfing, von Drogen herrührte. Ihre dunklen Augen waren weit geöffnet und starr. Sie heftete ihren Blick auf Costello und wartete darauf, daß er begann. Er nahm seinen Platz an einer Ecke des Zeugenstandes ein, um niemandem die Aussicht auf sie zu blockieren – auf das hübsche rosa Kostüm, den seidigen aschblonden Pagenkopf, den leicht zitternden Mund.
»Karen, ich möchte Ihnen danken, daß Sie heute hier als Zeugin aussagen«, begann er behutsam. »Ich weiß, wie schwer das für Sie ist. Diese ganze Sache muß eine Qual für Sie sein, nicht wahr?«
»Sie machen sich keine Vorstellung.« Sie hob ein spitzenbesetztes Taschentuch, um eine Träne aufzufangen, die erst noch fließen mußte. »Es war schrecklich. Alles war so schrecklich. Ich hätte nie gedacht . . .« Sie fing sich und schloß für einen Moment die Augen. »Es ist furchtbar. Ich hasse es.«
»Karen, wie lange sind Sie mit Dr. Wright verheiratet?«
Ein wehmütiges kleines Lächeln hob ihre Mundwinkel. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Sechzehn Jahre.«
»Und in dieser ganzen Zeit, hat Garrett da je Schwierigkeiten mit dem Gesetz gehabt?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und drehte ihr Taschentuch zwischen den Fingern. »Garrett hat noch nicht einmal einen Strafzettel bekommen. Er ist ein sehr vorsichtiger Mann. Er hätte nicht verhaftet werden dürfen. Nichts von alldem hätte je passieren dürfen.«
»Hat er je schlecht von den Kirkwoods gesprochen?«
»Nein, niemals.«
»Und Sie?«
»Ich habe sie als Freunde betrachtet«, sagte sie und senkte ihre Stimme.
»Sie haben ihnen sogar geholfen, während Josh vermißt war. Ist das richtig, Karen?«
»Ich habe auf Lily aufgepaßt.« Zwei Tränen rollten über ihre Wangen. »So ein kleiner Schatz. Ich liebe Babys«, gestand sie. »Garrett und ich können keine Kinder haben«, fügte sie hinzu und senkte den Kopf, als wäre das eine Schande.
»Karen, wo waren Sie am Abend des Zwölften?« Costello wechselte abrupt das Thema und steuerte sie rasch aus möglicherweise gefährlichen Wassern heraus.
»Auf der Arbeit. Ich arbeite halbtags als Sekretärin für Halvorsen ' s State Farm Insurance im Omni-Komplex.«
»Arbeiten Sie oft abends?«
»Ich – nein.« Sie schloß wieder die Augen und holte zitternd Luft.
»Karen, haben Sie an diesem Abend gearbeitet?«
Ein seltsamer, klagender Ton kam aus ihrer Kehle, sie begann, sich hin- und her zu wiegen. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, aber man sah deutlich, wie sie zitterte.
»Es ist nicht fair«, wimmerte sie. »Es ist nicht fair.«
»Karen«, murmelte Costello. »Bitte beantworten Sie die Frage. Es ist sehr wichtig. Sie waren an diesem Abend im Omni-Komplex. Haben Sie gearbeitet?«
Sie sah ihn an, und ihr hübsches Gesicht verzerrte sich qualvoll. Ihre Augen flogen über die Menge, ruhten auf jemandem auf der Galerie, dann huschten sie zurück zu ihrem Mann, der sie mit ausdruckslosem Gesicht ansah.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid. Bitte nicht . . .«
»Karen«, sagte Costello streng. »Sie müssen die Frage beantworten.« Sie ließ die Bombe mit so leiser Stimme platzen, daß jeder im Gerichtssaal Mühe hatte, sie zu verstehen.
»Ich bin länger geblieben, weil . . . Ich hatte eine Affäre mit Paul Kirkwood.«
Das Geständnis traf Ellen wie ein Vorschlaghammer. Hinter dem Geländer brach ein Tumult los, Paul Kirkwoods Stimme übertönte alle. »Das ist ein Lüge! Wright, du verfluchtes Schwein! Das hast du ihr eingeredet! Das wirst du büßen, du Dreckskerl!«
Das einzige, was sie denken konnte, war, daß jemand schon gebüßt hatte – Josh.
»Es gehört zu den Rechten der Verteidigung, Beweise dafür vorzulegen, daß jemand anders als der Angeklagte das Verbrechen begangen hat«, zitierte Dorman. Er stand wie ein übereifriger Kammerdiener direkt hinter Costello.
Costello hatte es sich auf einem von Grabkos Besucherstühlen bequem gemacht, seinen Anzug so arrangiert, daß er möglichst wenig Falten bekam, und hielt den braunen Umschlag in einer Hand. Ellen spürte seinen ruhigen, scharfen Blick auf sich
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