Engel der Schuld Roman
Ellen stur.
»Sagen Sie den Termin ab. Ich bin überzeugt, ich habe zu diesem Zeitpunkt etwas Wichtigeres zu tun.«
»Ich glaube nicht, daß Sie den absagen wollen«, warnte ihre Sekretärin.
»Und warum nicht?«
»Er bringt den Generalstaatsanwalt mit.«
In der Geschichte von Park County hatte sicher noch nie eine Kautionsverhandlung soviel Aufmerksamkeit erregt. Der Gerichtssaal war voll, die Zuschauer hatten sich wie Sardinen in der Dose in die Bänke gequetscht. Jay hielt sich im Hintergrund und richtete seinen Auftritt so ein, daß er keine Aufmerksamkeit erregte. Er glitt in den Saal, eine Baseballmütze tief über die Sonnenbrille gezogen, und nahm einen Platz am Gang ein. Die Reporter sprangen auf und renkten sich die Hälse aus, um Garrett Wright besser sehen zu können, der gerade mit seinem Verteidiger durch die Tür kam.
Wright und sein Anwalt wurden von einem Deputy und dem Sheriff von Park County persönlich flankiert – Russ Steiger.
Noch ein Politiker, der unbedingt sein Foto in der Zeitung haben wollte. Kein Sheriff hätte sich je dazu herabgelassen, einen Gefangenen zu eskortieren, wenn er nicht hoffte, durch die Wichtigkeit des Falles etwas zu gewinnen. Wright war nicht einmal von Steiger verhaftet worden. Laut der Minneapolis Star Tribune hatte Steiger nur eins gepackt: nämlich die Titten von Paige Price, die gerne ein paar horizontale Recherchen betrieb, um ihre Storys für die Kanal-Sieben-Nachrichten zu kriegen.
Ellen North und ihr Assistent Reed hatten bereits ihre Plätze am Tisch der Anklage eingenommen. Sie hob nicht den Kopf, als Wright den Gerichtssaal betrat, als wäre es ihr nicht der Mühe wert, ihm die geringste Beachtung zu schenken. Sie konzentrierte sich auf die Papiere, die sie gedankenverloren durchblätterte, und schaute erst hoch, als der Richter aus einem Zimmer auftauchte.
Alle im Raum erhoben sich, als der ehrenwerte Victor Franken seinen Platz am Richtertisch einnahm. Franken war klein, glatzköpfig und verwachsen und hatte ungesunde, gelbliche Haut. Mit seiner langen schwarzen Robe sah er aus wie eine hundert Jahre alte Marionette, wie Yoda aus Star Wars. Er schlug einmal mit seinem Hammer auf den Richtertisch und dann gleich noch einmal. Es schien ihm heimlich Freude zu bereiten, wenn die Leute bei dem Geräusch reflexartig zusammenzuckten.
»Der Staat gegen Garrett Wright«, krächzte er mit seiner vom Alter rostig gewordenen Stimme. »Mit wem habe ich es hier zu tun?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die Verteidigung, als hätte er nicht gerade eine halbe Stunde mit den beteiligten Anwälten in seinem Zimmer verbracht, und grummelte: »Dennis Enberg.« Dann wandte er sein verhutzeltes Gesicht der Anklage zu. »Ellen North. Wen haben Sie da neben sich?« bellte er, zog den Kneifer von seinem verwitterten, roten Nasenstumpen und rieb ihn an seiner Robe.
» Assistant County Attorney Cameron Reed, Euer Ehren«, sagte Reed mit lauter Stimme und erhob sich halb von seinem Stuhl.
Franken bedeutete Ellens Assistenten, sich wieder zu setzen. »Legen Sie los, Miss North.«
Wright und seinen Anwälten wurde offiziell die Anklage überreicht. Jay mußte grinsen. Guter Zug, Miss North. Durch diese offizielle Übergabe mußte die Anklage laut fürs Protokoll verlesen werden. Die Gerichtsschreiberin, eine matronenhafte Frau, die wahrscheinlich selbst einen Stall voller Kinder hatte, las die Anklagepunkte einen nach dem anderen vor. Kidnapping, Verweigerung elterlicher Rechte, Entführung eines Polizeibeamten mit schwerer Körperverletzung, versuchter Mord, Tätlichkeit, Tätlichkeit, Tätlichkeit – so viele Punkte und Variationen von Tätlichkeit, daß es klang, als hätte Wright die halbe Stadt angegriffen.
Die Protokollführerin bemühte sich zwar redlich, ihre Stimme frei von Emotionen zu halten, trotzdem schnürte es ihr die Kehle zu, und ihre Blicke durchbohrten den Angeklagten wie Dolche, als sie die Passage mit dem blutverschmierten Laken las, in das man Megan O'Malley gewickelt hatte – Flecken, die mit Josh Kirkwoods Blutgruppe übereinstimmten.
Die erste Runde ging an die Anklage. Die Abgesandten der Medien sogen alles auf wie ein Schwamm – die Fülle der Behauptungen, Mitch Holts Bericht über die Ereignisse von Samstagnacht bis zur Verfolgung und Festnahme von Garrett Wright.
Der Verteidigung wurde nicht gestattet, die Vorwürfe zurückzuweisen. Enberg saß da und kratzte am Ärmel seiner Wolljacke. Er sah aus, als würde er eine bereits
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