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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Bücher.
    Der alte Mann sprach harsch und voller Verachtung.
    ›Ist irgendjemand mit dieser Legende zu dir gekommen, hat dir eine hübsche Geschichte über Magie und Macht erzählt? War das ein Moslem? Ein Christ? Oder ein Jude? War es einer von deinen New-Age-Anhängern, der dein Abrakadabra über die Kabbala gelesen hat?‹
    Gregory schüttelte den Kopf.
    ›Rebbe, du fasst das ganz falsch auf‹, sagte er mit ernsthafter Ehrlichkeit. ›Ich weiß es nur, weil du es damals gesagt hast, als ich noch ein Kind war. Und vor zwei Tagen sprach jemand anderes diese Worte, und vor Zeugen: Asrael, Hüter der Gebeine!‹
    Ich wagte nicht zu raten.
    ›Und wer war das?‹, fragte der Rebbe.
    ›Sie sagte es, Rebbe. Esther sagte es, als sie im Sterben lag.
    Der Mann im Krankenwagen hörte die Worte von ihren Lippen, als sie starb. Esther sagte es, Rebbe. Esther sagte: »Der Hü-
    ter der Gebeine.« Und den Namen Asrael. Zweimal sagte sie es, laut, und zwei Männer haben es gehört. Sie haben es mir erzählt.‹
    Ich lächelte. Das war geheimnisvoller als ich es mir je vorgestellt hätte. Ich beobachtete die beiden gespannt. Mein Gesicht brannte vor Hitze. Und ich merkte, dass ich zitterte, wie der alte Mann zitterte, als sei mein Körper ganz real.
    Der alte Mann war skeptisch. Er war nicht bereit, das zu glauben, doch sein Ärger verrauchte. Er schaute den Jüngeren forschend an.
    Dann sprach Gregory in ganz bewusst mildem Ton. ›Wer ist er, Rebbe? Wer ist der Hüter der Gebeine? Was ist das überhaupt für ein Ding, das Esther erwähnte? Das du erwähnt hast, als ich damals als Kind zu deinen Füßen spielte? Esther nannte diesen Namen, »Asrael«. Hat der Hüter der Gebeine diesen Namen?‹
    Mein Puls klopfte so laut, dass ich ihn in meinen Ohren dröhnen hörte. Ich merkte, dass sich meine Finger sacht in die Bü-
    cher gruben, dass die Kanten des Regals gegen meine Brust drückten, und unter meinen Füßen spürte ich den Zement des Fußbodens. Ich wagte nicht, meinen Blick von den beiden zu nehmen.
    Mein Gott, dachte ich, lass den alten Mann reden, lass ihn endlich reden, damit ich Bescheid weiß, mein Gott, wenn es dich noch gibt, lass ihn sagen, wer und was der Hüter der Gebeine ist. Mach, dass er es sagt!
    Der alte Mann war zu überwältigt, um zu antworten.
    ›Die Polizei hat diese Informationen auch‹, sagte Gregory ›Sie hüten sie eifersüchtig, denn sie glauben, dass Esther von ihrem Mörder sprach.‹
    Ich schrie beinahe laut heraus, dass das nicht stimmte. Der Alte schaute grimmig, und seine Augen wurden feucht.
    ›Rebbe, verstehst du nicht? Die Polizei will die Mörder finden -
    nicht dieses eispickelbewehrte Gesindel, das das Collier gestohlen hat, sondern die Leute, die die Schurken dazu angestiftet haben, die, die den Wert der Edelsteine kannten.‹
    Wieder dieses Collier. Ich hatte keines an ihr gesehen, und auch in meinem geistigen Rückblick tauchte keines auf. Sie hatte keine Halskette getragen. Sie hatten ihr nichts abgenommen. Was sollte dieses Ablenkungsmanöver mit dem Halsband?
    Wenn ich die beiden nur besser gekannt hätte. Ich konnte nicht sicher sagen, wann Gregory log.
    Dessen Stimme senkte sich jetzt, klang kühler und nicht mehr so verschwörerisch. Er straffte die Schultern.
    ›Nun lass mich offen sprechen, Rebbe‹, sagte er. ›Ich habe, auf dein Geheiß, stets unser Geheimnis, mein Geheimnis gewahrt, nämlich, dass der Gründer des »Tempels vom Geiste Gottes« der Enkel des Rabbi dieser Chassid-Gemeinde ist!‹
    Seine Stimme wurde laut, als sei es ihm nicht möglich, sie zu dämpfen. Er sagte: ›Um deinetwillen habe ich dieses Geheimnis gewahrt. Um Nathans willen. Um der Gemeinde willen und um deretwillen, die meine Mutter und meinen Vater geliebt und in ihrer Erinnerung bewahrt haben. Ihretwegen und deinetwegen habe ich dieses Geheimnis gewahrt!‹
    Er hielt inne, ließ den anklagenden Ton scharf im Raum stehen, und der alte Mann wartete ab, zu klug, das Schweigen zu brechen.
    ›Weil du mich darum gebeten hast‹, fuhr Gregory fort, ›darum habe ich das Geheimnis nicht preisgegeben. Weil mein Bruder mich darum bat. Und weil ich meinen Bruder liebe. Und dich liebe ich auch, Rebbe, auf meine Art und Weise. Ich habe das Geheimnis bewahrt, damit du dich nicht vor dir selbst schämen musstest und damit die Kameralinsen nicht in deine Fenster lugten und die Reporter sich nicht vor deiner Tür drängten, um dich zu fragen, wie es möglich sei, dass aus den Lehren deiner Thora,

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