Engel der Verdammten
zufällig hierher gekommen, um herauszufinden, wer du bist, und du hast...‹
›Sei doch nicht so dumm, Gregory‹, sagte der alte Mann. Er nahm seinen Blick einen Moment von mir. Dann schaute er mich wieder an und fuhr fort. ›Ich habe deine Stieftochter nicht gekannt‹, sagte er. ›Sie war niemals hier. Und deine Frau auch nicht. Das weißt du.‹ Er seufzte und starrte mich an, als habe er Angst, den Blick abzuwenden.
›Ist es vielleicht etwas, was die Chassidim sich erzählen, oder hat einer von denen, die euch Orthodoxen feindlich gesinnt sind, Esther etwas gesagt?‹, fragte Gregory.
›Nein.‹
Wir starrten uns gegenseitig an, der alte Mann, ein wahrhaftiger Mensch, und der junge Geist, kräftig und zunehmend von Leben erfüllt.
›Rebbe, wer sonst ...?‹
›Niemand‹, sagte der Alte und fixierte mich noch immer wie ich ihn. ›Du erinnerst dich richtig! Dein Bruder hat nichts gehört, und deine Tante Rivka ist tot. Niemand hätte Esther etwas sagen können.‹
Erst jetzt schaute er fort von mir und hinüber zu Gregory.
›Es ist etwas, das mit einem Fluch belegt ist‹, sagte er. ›Ein Dämon, ein Ding, das durch machtvollen Zauber heraufbeschworen werden kann, etwas, das Böses tun kann.‹
Und seine Augen wanderten zu mir, obwohl der junge Mann sich weiterhin ihm zuwandte.
›Dann kennen auch andere Juden diese Geschichte. Nathan kennt sie ...‹
›Nein, niemand sonst. Weißt du, halt mich nicht für einen Idioten. Denkst du, ich wusste nicht, dass du sämtliche Juden weit und breit gefragt hast? Du hast die eine oder andere Gemeinde gefragt, und du hast Professoren an verschiedenen Universitäten befragt. Ich kenne dich doch. Du bist zu raffiniert. Du hast Telefone in jedem Raum, den du bewohnst. Du kamst her, weil ich deine letzte Hoffnung bin.‹
Der Jüngere nickte. ›Es stimmt, ich dachte, dass der Begriff allgemein bekannt ist. Ich habe Nachforschungen angestellt.
Aber die Behörden auch. Aber es ist nicht gerade Allgemeinwissen. Und deshalb bin ich hier.‹
Gregory legte den Kopf auf die Seite und hielt dem Rabbi den gefalteten Scheck vor die Nase.
Das gab dem Rabbi eine Sekunde, mir ein Signal zu geben, eine Sekunde, um diese kleine Geste mit dem rechten Zeige-finger zu machen, die besagte: ›Versteck dich, halt dich ruhig.‹
Dabei kniff er verneinend die Augen zusammen und machte gleichzeitig eine winzige Kopfbewegung. Das sollte weder ein Befehl noch eine Drohung sein. Es ähnelte eher einem Flehen.
Dann hörte ich ihn. Zeige dich nicht, Geist.
Gut, gut, Alter, im Moment sei es, wie du es wünschst.
Gregory - immer noch mit dem Rücken zu mir - entfaltete den Scheck. ›Erkläre mir diese Sache, Rebbe. Erkläre mir, was es ist und ob du es immer noch besitzt. Wie du Rivka sagtest, kann man es nicht einfach vernichten.‹
Der Alte schaute abermals zu Gregory auf, anscheinend ging er davon aus, dass ich auf meinem Platz blieb.
›Vielleicht erzähle ich dir alles, was ich weiß‹, sagte er. ›Vielleicht will ich den Gegenstand deiner Worte deinen Händen überlassen. Aber nicht für diese Summe. Wir haben mehr als genug. Du wirst uns etwas geben müssen, das uns wirklich wichtig ist.‹
Gregory war ziemlich aufgeregt. ›Wie viel, Rebbe? Du redest, als hättest du das Ding noch.‹
›Ja, so ist es‹, sagte der alte Mann. ›Ich habe es.‹
Ich war erstaunt, aber nicht überrascht.
›Ich will es haben!‹, sagte Gregory wild, mit einer Wildheit, die mich fürchten ließ, er habe in dem Spiel zu hoch gepokert.
›Nenne deinen Preis!‹
Der alte Mann überlegte. Wieder fixierte er mich und ließ den Blick dann an mir vorbeigleiten, dabei sah ich, dass sich sein zerfurchtes Gesicht verdunkelte, und seine Hände bewegten sich unruhig. Langsam heftete er seine Augen auf mich, mich allein.
Eine kostbare Sekunde lang, während wir uns ansahen, schien mir, als ob sich mir meine ganze Vergangenheit eröffnete. Ich konnte um Jahrhunderte über Samuel hinausschau-en. Ich glaube, ich sah einen Hauch von Zurvan. Ich glaube, ich sah sogar die Prozession. Ich erhaschte einen Blick auf eine Gestalt, einen goldenen Gott, der mich anlächelte, und ich spürte Schrecken, Schrecken davor, zu wissen und zu sein, wie Menschen sind, mit einem Gedächtnis behaftet und mit Schmerz.
Wenn das nicht aufhörte, dann würde ich Todespein erfahren, eine solche Pein, dass ich aufheulen musste wie ein Hund, aufheulen wie der Chauffeur, als er den niedergesunkenen Körper Esthers sah; ich
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