Engel der Verdammten
rechte Hand Gottes.‹
›Nicht so hastig. Was für ein Gott?‹
›Ach, du verachtest also deine Abstammung und die Untaten, die du begangen hast, oder etwa nicht?‹
›Doch.‹
›Nun, dann sollte dir die Welt, die ich in deine Hände lege, willkommen sein. Oh, von Sekunde zu Sekunde wird mir mehr klar. Du bist gekommen, um nach dem Jüngsten Tag unser Lehrer zu sein, ja, ich verstehe.‹
›Was für ein »Jüngster Tag«? Wann zum Teufel werden die Menschen endlich aufhören, auf dieser Sache mit dem Jüngsten Tag herumzureiten? Weißt du, seit wie vielen Jahrhunderten sie schon wegen des Jüngsten Tages herumjammern?‹
›Schon, aber ich weiß genau, wann der Jüngste Tag stattfin-det‹, sagte Gregory ganz ruhig. ›Ich habe das Datum selbst festgelegt. Es wird keine Verzögerung geben, nur weil ich dir den ganzen Plan erläutere. Warum sollte ich nicht alles offen-legen? Du scheust vor mir zurück, verhöhnst mich, aber du wirst es noch lernen. Du bist ein wissbegieriger Geist, nicht wahr?‹
Ein gelehriger Geist.
›Ja‹, stimmte ich zu. Die Vorstellung gefiel mir.
Ich horchte auf den Klang von Schritten draußen auf dem Gang. Ich glaubte, die Stimme von Esthers Mutter zu erkennen, leise und eindringlich, und mir gefiel nicht, dass sie noch immer weinte.
Kühl bemerkte ich, dass seine Nähe zu mir keine Rolle spielte.
Er konnte einen halben Meter oder fünf Meter entfernt sein, an meiner Kraft änderte das nichts. Ich war völlig unabhängig von ihm, das war einfach klasse. Während er mich dabei beobachtete, ließ ich Ringe an meinen Fingern erscheinen, goldene Ringe mit edlen Steinen, die ich so sehr liebte, Smaragde, Diamanten, Perlen und Rubine.
In allen Spiegeln des Raumes fanden wir uns reflektiert. Ich hätte gern meine Haare mit einem Lederband zusammenge-bunden, aber so wichtig war es mir im Moment dann doch nicht. Ich berührte wieder meine Wangen, um mich davon zu überzeugen, dass sie ebenso glatt waren wie die seinen; denn obwohl ich Vollbärte mochte, gefiel ich mir doch mit der bloßen Haut besser.
Er ging um mich herum, schlug schweigend einen Kreis um mich, als ob er mich auf diese Art samt meiner Macht bannen könnte. Aber er hatte keine Ahnung von Magie, von magischen Bannkreisen und Pentagrammen.
Ich forschte in meinem Gedächtnis: War mir je ein Meister untergekommen, der ebenso aufgeregt war, so hochmütig und so heiß auf den Ruhm? Unmengen von Gesichtern zogen an mir vorbei. Ich hörte Gesänge. Ich sah Ekstase; aber das schienen mir Menschenmengen gewesen zu sein, und es hatte da eine Lüge gegeben. Und mein Gott hatte geweint. Nein, das war keine Antwort auf meine Frage.
Dies war die Antwort: Ich konnte ihn nicht töten, nicht jetzt.
Das ging nicht. Zuerst wollte ich herausfinden, welche Lehre er mir übermitteln konnte. Aber ich musste mir über die Grenzen seiner Macht klar werden. Was, wenn er mir jetzt befehlen könnte, wie es der Rabbi getan hatte?
Ich zog mich ein Stück von ihm zurück.
›Du hast auf einmal Angst vor mir?‹, fragte er. ›Warum?‹
›Ich habe keine Angst. Ich habe noch nie einem König gedient, zumindest nicht als Geist. Gesehen habe ich viele. Ich sah Alexander auf seinem Sterbebett ...‹
›Das hast du gesehen?‹
›Ich war dort, in Babylon, und zusammen mit seinen Männern defilierte ich an ihm vorbei, verkleidet als einer von ihnen. Er hob immer wieder die Hand. In seinen Augen stand der sichere Tod. Ich glaube nicht, dass er noch große Träume hatte.
Vielleicht starb er deshalb. Keine Träume mehr! Doch du hast deine Träume noch. Und du loderst innerlich, wie Alexander, das ist wahr, und doch kämpfe ich gegen dich an, dennoch ...
ich glaube, ich könnte dich lieben.‹
Ich setzte mich auf einen samtüberzogenen Hocker und dachte nach. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, saß ich regungslos da, und er baute sich mit über der Brust verschränkten Armen vor mir auf, aber in einem Abstand von gut fünf Metern. Nimm die Sache in die Hand!
›Du liebst mich schon längst‹, sagte er. ›Fast jeder, der mich trifft, liebt mich. Selbst mein Großvater liebt mich.‹
›Glaubst du?‹, fragte ich. ›Weißt du, dass er von meiner Anwe-senheit wusste, als er dir die Gebeine verkaufte? Er hat mich gesehen.‹
Das ließ ihn erstaunt verstummen. Er schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, war dann aber doch still.
›Ich war in dem Zimmer, sichtbar, und als er mich mit seinen kleinen boshaften blauen Augen entdeckte, da
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