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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schriftstücke, ich hätte sie lesen können.
    ›Warum hast du das gemacht?‹, fragte Gregory.
    ›Ich mag den Anblick nicht‹, gab ich zurück.
    ›Wieso?‹
    ›Es sind schließlich meine Knochen‹, ich schaute ihn an. ›Jemand hat mich getötet, gegen meinen Willen. Übrigens mag ich dich auch nicht, zwangsläufig. Warum sollte ich glauben, dass ich etwas bin, das deiner wert ist? Was ist das denn für ein Plan von dir? Und wo ist dein Schwert, das dem Alexanders gleicht?‹
    Mir war der Schweiß ausgebrochen. Und mein Herz hämmerte. (Ich hatte natürlich kein Herz, aber ich fühlte mich, als klop-fe es heftig.) Ich zog den Mantel aus, wobei ich meine eigene Arbeit bewunderte. Ich sah den Unterschied zu Gregorys Kleidung, obwohl ich meine genau nach seinem Muster gemacht hatte.
    Vielleicht sah er den Unterschied ja auch.
    ›Wer hat dir diese Kleider genäht, Asrael?‹, wollte er wissen.
    ›Stammen sie von Engeln oder unsichtbaren Webstühlen?‹
    Er lachte, als sei das eine absolut lächerliche Vorstellung.
    ›Du solltest dir besser ein paar intelligentere Bemerkungen einfallen lassen. Ich mag dich vielleicht jetzt noch nicht töten, aber ich könnte dich ohne weiteres verlassen.‹
    ›Das kannst du nicht. Du weißt, dass du das nicht kannst!‹
    Ich wandte ihm den Rücken zu. Die Frage war, was konnte ich sonst noch tun?
    Ich ließ meine Augen über die Wände huschen, über die Dek-ke, die pfirsichfarbene Seide der Vorhänge und den aus dem Teppich hervorleuchtenden Lebensbaum. Ich rückte näher ans Fenster, sodass eine Brise mein Haar erfasste und kühl über meine Haut strich.
    Langsam schloss ich die Augen, wusste aber trotzdem genau, wo ich war, und konnte noch kleine Schritte machen. Und dann kleidete ich mich neu ein. Ich stellte mir ein Gewand aus roter Seide vor, mit einem breiten seidenen Gürtel und dazu juwelenbesetzte leichte Schuhe. Ich wählte ihren Rotton, hüllte mich darin ein und brachte etwas Gold auf dem Ärmel- und Rocksaum an. Ich war nun von oben bis unten in dieses glü-
    hende Rot gekleidet. Vielleicht trugen die Mütter hier ja rot, wenn sie trauerten.
    Vorstellbar war es.
    Ich hörte Gregory ächzen. Hörte förmlich, wie geschockt er war. Ich sah mein Bild in den Spiegelscheiben der Türen, einen groß gewachsenen, schwarzhaarigen Jüngling in einem roten chaldäischen Gewand. Bartlos, nein, kein Haar im Gesicht. Mir gefiel dieses glatte Gesicht. Aber nein, das war nicht gut, diese antike Aufmachung! Ich brauchte etwas mehr Be-wegungsfreiheit, mehr Macht.
    Ich drehte mich um, schloss noch einmal die Augen. Ich stellte mir einen Rock vor, wie er ihn trug, aber in diesem leuchtenden Rot und aus feinster Wolle, geschnitten wie der seine, aber mit glatten Knöpfen aus bestem Gold, fast reinem Gold.
    Die Hosen stellte ich mir weiter und lockerer vor, wie ein Perser sie sich gewünscht hätte, und von den Schuhen entfernte ich den Zierrat.
    Unter dem Rock wählte ich ein Hemd, wie er es hatte, nur aus noch weißerer Seide, und auch hier die Knöpfe aus Gold, und um meinen Hals ließ ich zwei dicke Perlenschnüre erscheinen, die ich aus all den Edelsteinen, die ich so sehr liebte, zusammenfügte, Jaspis und Lapislazuli, Beryll, Granat, Jade und sogar Elfenbein. Auch Bernstein flocht ich ein, bis ich das Gewicht der Steine schwer auf meiner Brust fühlte. Ich hob die Hand und berührte die Perlen. Wenn ich die Schultern leicht sinken ließ, verbarg der Rock diese kleine Zurschaustellung meiner Eitelkeit, diese aus alten Zeiten stammenden Perlenschnüre, fast völlig.
    Auch die Schuhe machte ich nach seinem Muster, aber aus ganz weichem Material und seidengefüttert.
    Dieser schlichte Akt der Magie versetzte Gregory in einen Schockzustand. Mir war das alles leichter denn je gefallen.
    ›Ein seidener Mann‹, sagte er. Er sprach Jiddisch. ›Zadener yinger mantchik.‹
    ›Soll ich dem Ganzen noch die Krone aufsetzen, indem ich jetzt aus diesem Zimmer marschiere?‹

    Er riss sich zusammen. Seine Stimme war nicht mehr ganz so fest. Wenn es auch keine Demut war, so respektierte er mich jetzt doch irgendwie.
    ›Du hast noch Zeit genug, mir jeden deiner Tricks vorzuführen, aber für den Moment musst du mir erst einmal zuhören.‹
    ›Dich interessieren deine Pläne mehr als das Erlebnis, mich verschwinden zu sehen?‹
    ›Alexander wäre auch eher an seinen Plänen interessiert gewesen, oder? Alles ist bereit. Alles ist an Ort und Stelle, und nun bist auch du noch erschienen, die

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