Engel der Verdammten
fortwährenden Versuch, mich zu erinnern, erinnern und auch an das Scheitern daran.
›Hör zu, du elende Kreatur‹, giftete ich ihn an. ›Mich gibt es schon seit Urzeiten. Manchmal schlafe ich. Manchmal träume ich. Manchmal bin ich wach. Aber ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht wurde ich ermordet. Vielleicht bin ich nie geboren worden. Doch ich gehöre der Ewigkeit an, und ich bin müde. Dieses Halbtotsein kotzt mich an! Mich kotzt es an, dass all dies fort und fort geht, ohne dass sich mein Geschick erfüllt!‹
Mein Gesicht war gerötet, meine Augen waren feucht. Ich fühl-te die Kleidung wie eine kostbare Umarmung auf meiner Haut, es war so schön, die Arme zu kreuzen und mit den Händen meine Schultern zu umfassen, den Blick nach oben zu richten und einen Hauch meines wirren Haares zu erspähen; es war so schön, dieses Gefühl, lebendig zu sein, selbst wenn es bedeutete, dass dieser Schmerz mich durchzog.
›O Esther, meine Liebe, wer warst du nur? Und was hast du von mir gewollt?‹, fragte ich laut.
Gregory schwieg hingerissen.
Schließlich sagte er: ›Du wendest dich an die falsche Person, und das weißt du. Sie will keine Vergeltung. Was kann ich tun, um dich zu überzeugen, dass du für mich bestimmt bist?‹
›Sag mir endlich, was du von mir willst. Ich soll Augenzeuge von irgendetwas werden? Von was denn? Soll ich noch einen Mord mit ansehen müssen?‹
›Komm, lass uns die Sache in Angriff nehmen. Du musst mit mir kommen in meine geheime Schaltzentrale. Du musst die Karten selbst sehen. Die ganzen Pläne.‹
›Und ich vergesse ihren Tod, vergesse, dass ich sie rächen wollte?‹
›Nein, du wirst endlich sehen, warum sie sterben musste. Für große Reiche muss immer jemand sterben.‹
Diese Worte schickten einen messerscharfen Schmerz durch meine Brust. Ich krümmte mich zusammen.
›Was ist?‹, fragte er. ›Wozu wäre es gut, den Tod eines einzelnen Mädchens zu rächen? Wenn du ein rächender Engel bist, warum gehst du dann nicht hinaus auf die Straße, wo der Tod häufig genug ist? Für jeden Einzelnen könntest du Vergeltung üben. Komme doch raus aus deinem Comic-Heft! Erschlage die Bösen! Los doch! Bring sie alle um, bis du es satt hast. Genauso leid, wie ein Geist zu sein. Los, vorwärts.‹
›Oh, was bist du doch für ein furchtloser Mann.‹
›Und du bist ein störrischer Geist.‹
Wir durchbohrten uns gegenseitig mit wütenden Blicken.
Schließlich sprach er: ›Ja, du bist stark, aber du bist auch dumm.‹
›Wie bitte? Was bin ich?‹
›Dumm‹, sagte er. ›Du weißt so viel, und doch weißt du nichts.
Und du weißt, dass ich Recht habe. Du ziehst Wissen aus der Luft, so wie die Materie, aus der du deine Kleider, vielleicht sogar deinen Körper beziehst. Und dieses Wissen sinkt zu schnell in dich ein, das verwirrt dich. Ja, verwirrt ist das bessere, das richtige Wort. Ich merke es doch an deinen Fragen und deinen Antworten. Du sehnst dich nach der geistigen Klarheit, die du spürst, wenn du mit mir sprichst. Aber du hast Angst, dass du auf mich angewiesen sein könntest. Und ich bin eine Notwendigkeit für dich. Du würdest mich niemals töten und auch nichts tun, das ich nicht will.‹
Er näherte sich mir mit weit aufgerissenen Augen.
›Ehe du dir mehr Wissen verschaffst, nimm zuerst einmal Folgendes zur Kenntnis‹, sagte er. ›Ich habe alles, was ein Mensch auf dieser Welt verlangen könnte. Ich bin reich. Ich habe mehr Geld, als man zählen kann. Du hattest Recht, ich habe ein Vermögen, wie es nie ein Pharao gehabt hat und auch nicht die Kaiser von Rom, geschweige denn einer deiner mächtigen Zaubermeister, so viel sie dich auch mit sumerischen Sprüchen bombardierten. Ich habe den »Tempel vom Geiste Gottes« gegründet, ich habe die Idee gehabt, und nun gibt es ihn in aller Welt. Ich habe Millionen von Anhängern.
Weißt du, was das Wort »Millionen« bedeutet? Weißt du, was das bedeutet? Es bedeutet Folgendes, Geist: Was ich will, das will ich. Kein Herumgespiele, kein schlichtes Verlangen, kein Bedürfnis. Nein, das will ich, ich, ein Mann, der alles hat.‹
Er musterte mich von oben bis unten und fragte dann: ›Bist du meiner würdig? Tatsächlich? Bist du ein Teil dessen, was ich will, was ich bekommen werde? Oder sollte ich dich vernichten? Du glaubst nicht, dass ich das kann? Lass es mich versuchen. Andere sind dich auch schon losgeworden. Das könnte ich auch. Was bedeutest du mir, wenn ich die Welt will, die ganze Welt! Du bist ein
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