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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hin, verzehrte sich unnötig, sinnlos.
    ›Lass mich sie verbrennen!«, sagte ich. Ich griff nach dem Schädel, hob ihn mitsamt den daran baumelnden Knochen in die Höhe.
    ›Das reicht, Asrael. Du tust mir Unrecht! Sei nicht so voreilig!
    Tu's nicht!‹
    Ich hielt inne. Mehr hatte es nicht gebraucht, ich hatte auch zu viel Angst, vielleicht war der richtige Moment auch einfach verstrichen. Kann man fünf Minuten nach der Schlacht noch jemanden mit dem Schwert abschlachten? Der Wind weht.
    Man steht dort, und auf dem Schlachtfeld, inmitten der Toten, liegt jemand, lebt noch, öffnet die Augen und murmelt etwas im Glauben, du seiest sein Freund. Kann man ihn dann noch töten?
    ›Aber wenn wir die Knochen dem Feuer überantworten, werden wir endlich Gewissheit haben‹, sagte ich. ›Und ich hätte so gern Gewissheit. Ja, ich habe Angst, aber ich möchte auch Gewissheit haben. Weißt du, was ich glaube?‹
    ›Ja, dass die Gebeine nicht mehr wichtig sind.‹
    Ich reagierte nicht.
    ›Selbst wenn man sie mit einem Mörser zu Pulver zerriebe‹, setzte er hinzu.
    Ich gab keine Antwort.
    ›Mein Freund, die Gebeine sind am Ende ihrer Reise angekommen‹, sagte er. ›Sie sind bei mir gelandet! Meine Zeit ist gekommen, und deine Zeit. Das ist die Bedeutung des Ganzen. Wenn wir die Knochen verbrennen, und du stehst immer noch hier, ein massiver Körper, ganz Schönheit und Kraft - ja, und auch unverschämt und sarkastisch, aber immer noch hier wie in diesem Augenblick, atmend und sehend und in samtene Stoffe gehüllt -, würde dich das endgültig mir ausliefern? Würdest du dann deine Bestimmung akzeptieren?‹
    Wir starrten uns gegenseitig voller Wut an. Ich hatte nicht vor, diese Gelegenheit zu nutzen. Nicht einmal denken mochte ich an die ruhelosen Toten in dem wirbelnden Wind. Mir fielen die Worte ein, die Worte, die auf dem Deckel der Truhe geschrieben standen. Ich zitterte, den Schrecken der Gestaltlosigkeit, der Machtlosigkeit vor Augen, umherstreifen zu müssen, immer gewärtig, auf die anderen allgegenwärtigen Geister zu treffen. Ich rührte mich nicht.
    Gregory ging in die Knie und hob die Truhe samt Deckel auf.

    Er schritt zum Tisch und stellte die Truhe sacht darauf ab. Den angesengten, verzogenen Deckel setzte er sorgfältig wieder auf seinen angestammten Platz. Er ließ sich auf den Fußboden gleiten, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tisch und streckte die Beine von sich. Er sah noch immer bemerkenswert offiziell aus in seinem fein genähten zugeknöpften Anzug.
    Er suchte meinen Blick. Ich sah, wie seine Zähne aufblitzten.
    Mir schien, er biss sich die Lippen blutig.
    Plötzlich war er wieder auf den Beinen und warf sich auf mich.
    Er war so schnell, dass es wirkte, als versuche ein Tänzer seinen Partner zu fangen, und obwohl er strauchelte, erwischte er mich doch mit beiden Händen am Hals, und ich spürte, wie sich seine Daumen in mein Fleisch drückten. Das gefiel mir gar nicht, und ich riss seine Arme zur Seite. Er schlug mir rechts und links ins Gesicht und rammte mir sein Knie in den Unterleib. Er wusste, wie man kämpft. Trotz all seiner Ge-lecktheit und seines Geldes konnte er kämpfen wie ein Asiate, tänzerisch leicht.
    Ich wich seinen Schlägen aus, kaum verletzt, nur erstaunt, wie geschickt er sich bewegte, als er nun, seinen Oberkörper nach hinten verlagernd, seinen Fuß voll in mein Gesicht knallen ließ, sodass ich ein paar Schritte rückwärts taumelte. Und dann holte er zu einem wirklich schweren Schlag aus, er hob den Ellenbogen und setzte an, mir mit der Handkante in den Nacken zu schlagen. Ich fing den Schlag ab und riss seinen Arm so heftig nach hinten hoch, dass er mit einem wütenden Ächzen in die Knie ging. Ich legte ihn auf dem Teppich flach und nagelte ihn dort mit meinem rechten Fuß fest.
    ›Auf dem Gebiet bist du mir kein ebenbürtiger Gegner‹, sagte ich. Ich trat zurück und bot ihm meine Hand an.
    Er kämpfte sich auf die Füße, ließ jedoch die Augen nicht von mir. Er hatte nicht eine Sekunde die Selbstbeherrschung verloren. Ich meine, selbst in diesem fehlgeschlagenen Angriff hatte er Würde und die Begierde zu kämpfen gezeigt, ja, und auch zu siegen.
    ›Also gut‹, sagte er. ›Du hast dich mir bewiesen. Du bist kein Mann, du bist besser als ein Mann, stärker. Deine Seele ist nicht weniger vielschichtig als meine. Du willst das Rechte tun, du hast eine ziemlich starre und alberne Vorstellung davon, was das Rechte ist.‹
    ›Das hat jeder‹, sagte ich

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