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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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solange ich es zuließ.
    Er schob sich dicht an mich heran, und ich bewegte mich auf ihn zu, erlaubte diese Nähe. Zwischen uns gab es eine Art Zärtlichkeit, eine unerwartete Stille. Ich sah ihm in die Augen, sah die runden schwarzen Kreise seiner Pupillen, und ich fragte mich, ob er in meinen Augen nur Schwärze sah.
    ›Du willst den Körper, den du jetzt hast, behalten‹, sagte er.
    ›Du willst diesen Körper und die Macht. Dafür bist du ausersehen. Du bist bestimmt, mir zu gehören, doch von diesem Augenblick an und für immer respektiere ich dich. Du bist für mich kein Diener. Du bist Asrael.‹
    Er umklammerte meinen Arm. Er hob die Hand und presste sie gegen meine Wange. Dann spürte ich seinen Kuss auf meiner Haut, heiß und süß. Ich drehte den Kopf und heftete meinen Mund für eine Sekunde auf den seinen, als ich ihn losließ, glühte sein Gesicht in Liebe zu mir. Hatte ich dieses gleiche heiße Gefühl für ihn?
    Doch nun hörte man Lärm hinter den Türen.
    Gregory machte eine Bewegung, als wolle er sagen, hab Geduld, und ich nehme an, er wollte selbst zur Tür gehen, doch die flog nun auf, und die Frau mit dem schwarzsilbernen Haar erschien im Türrahmen, Esthers Mutter, die ich zuvor in dem roten Seidengewand gesehen hatte.
    Sie war krank, doch sie hatte sich zurechtgemacht und sich zum Ausgehen gekleidet, und nun marschierte sie auf uns zu, bleich, zitternd und mit feuchten Augen. Sie trug ein Bündel, eine Reisetasche, die viel zu schwer für sie war.
    ›Helfen Sie mir!‹, rief sie. Sie sprach mich an! Und sie schaute mich direkt an! Sie kam auf mich zu, ließ Gregory links liegen.
    ›Sie, helfen Sie mir!‹
    Sie trug ein graues Wollkleid, und irgendetwas aus Seide lag um ihren Hals. Ihre Schuhe waren elegant mit sehr hohen Ab-sätzen und hübschen Riemchen, die sich um den hochgewölbten, schlanken Rist legten, unter dessen Haut man die blauen Adern erkennen konnte. Ein Duft von schwerem, teurem Parfüm entströmte ihr, außerdem roch ich mir unbekannte Chemikalien, und ich roch Tod und Verfall, sehr fortgeschritten, der Tod hatte ihren ganzen Körper durchdrungen und hielt schon ihr Herz und ihren Verstand in seinen Klauen, um sie auf ewig in Schlaf zu wiegen.
    ›Helfen Sie mir auf der Stelle, hier wegzukommen!‹ Sie griff nach meiner Hand, sie wirkte ebenso feucht und warm und verführerisch wie die von Gregory.
    ›Rachel‹, sagte Gregory zu ihr, um Ruhe bemüht. ›Das sind die Medikamente, die lassen dich so reden.‹ Seine Stimme wurde hart. ›Geh zurück in dein Bett.‹
    Helferinnen in weißer Schwesterntracht waren hinter ihr ins Zimmer gekommen, auch ein paar unbeholfene Jünglinge in steifen Arbeitskitteln, doch diese ganze Versammlung stand untätig herum, die Pflegerinnen und Bediensteten fürchteten sie offenkundig und warteten auf ein Zeichen Gregorys.
    Sie schlang einen Arm um mich. Sie beschwor mich.
    ›Bitte, Sie müssen mir helfen, hier wegzukommen, helfen Sie mir zum Aufzug und auf die Straße hinaus.‹
    Sie versuchte, ihre Worte sorgfältig zu wählen, überzeugend zu klingen, doch sie klang schwach, wie betrunken und sehr elend.
    ›Helfen Sie mir, ich werde Sie auch dafür bezahlen. Das wissen Sie doch! Ich will einfach nur aus meinem eigenen Haus raus! Ich bin keine Gefangene. Ich will nicht hier sterben! Habe ich nicht das Recht, zu sterben, wo es mir gefällt?‹
    ›Bringt sie zurück in ihr Zimmer‹, herrschte Gregory die anderen wütend an. ›Los doch, schafft sie hier raus, und tut ihr nicht weh dabei.‹
    Eine der Frauen jammerte: ›Mrs. Belkin!‹ Und die schlacksigen jungen Männer umringten sie wie eine Herde, die auseinander laufen würde, wenn man sie nicht als Ganzes bewegte.
    ›Nein!‹, schrie die Frau, dabei entwickelte ihre Stimme eine erstaunlich jugendliche Kraft. Und als gleich vier Bedienstete sie mit ängstlichen, zögernden Händen packen wollten, rief sie mir zu: ›Sie müssen mir helfen. Mir ist es egal, wer Sie sind. Er tötet mich! Er vergiftet mich! Er will meinen Tod beschleunigen! Das soll aufhören! Helfen Sie mir!‹
    Ihre Worte gingen in den murmelnden, lügengespickten Stimmen der Pflegerinnen unter.
    ›Sie ist krank‹, sagte eine von ihnen in tiefer, echter Betroffen-heit. Und öden Echos gleich folgten andere: ›Sie steht unter Drogen, sie weiß nicht, was sie tut. ... was sie tut ... was sie tut.‹
    Dann sprachen Gregory und die jungen Männer gleichzeitig, und Rachel Belkin überschrie alle zusammen, während die

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