Engel der Verdammten
leise. Ich war gedemütigt. Und ich spürte Zweifel, Zweifel an allem außer an einem, nämlich, dass ich dies alles genoss, und dieses Genießen schien mir eine Sünde. Es schien mir sogar eine Sünde, dass ich atmete.
Aber wieso, was hatte ich getan? Ich beschloss endgültig, nicht tiefer in meinem Gedächtnis zu graben. Ich schob die sich mir aufdrängenden Bilder fort, diese Bilder, die ich dir schon beschrieben habe, Samuels Gesicht, den brodelnden Kessel, alles. Ich sagte mir einfach: Damit hast du abgeschlossen, Asrael!
Mitten in diesem Zimmer schwor ich mir, dieses Rätsel hier und jetzt zu lösen, ohne auch nur noch einen Blick zurückzu-werfen.
›Es schmeichelt dir, dass ich gesagt habe, du habest eine Seele, nicht wahr?‹, fragte Gregory. ›Oder bist du nur erleichtert, dass ich so etwas wie dich gelten lasse. Dass ich dich nicht, wie mein Großvater, für einen Dämon halte. Das tat er doch, stimmt's? Er verbannte dich aus seinem Umkreis, als hättest du keine Seele.‹
Ich war sprachlos vor Verwunderung und vor Sehnsucht. Eine Seele zuhaben, gut zu sein, die Stufen zum Himmel erklimmen zu können. Der Sinn des Lebens ist, zu lieben und die Schönheit und die komplizierte Verwobenbeit aller Dinge zu erkennen.
Gregory ließ sich auf einem samtbezogenen Hocker nieder. Er war noch ganz außer Atem. Das war mir bisher entgangen. Ich hatte mich nicht im Mindesten angestrengt.
Ich fühlte wieder die Hitze und war ein klein wenig verschwitzt.
Ich hatte mich nicht besudelt. Und natürlich waren ein paar der Dinge, die ich zu ihm gesagt hatte, Lügen - und Bluff.
Ich hatte keineswegs den Wunsch, in der Dunkelheit und dem Nichts zu verschwinden. Ich konnte den Gedanken daran nicht einmal ertragen. Eine Seele! Zu denken, dass ich wahr und wahrhaftig eine Seele haben könnte, eine Seele, die errettet werden könnte ...
Aber ich diente ihm nicht! Dieser Plan, ich musste wissen, um was es sich da handelte; wieso glaubte er, er könne die Welt sein Eigen nennen, wenn doch rings um den Erdball sich ganze Armeen um die Herrschaft über die Welt schlugen? Meinte er die spirituelle Welt?
Draußen auf dem Gang hörte man Stimmen. Ich erkannte Esthers Mutter, doch Gregory ignorierte es, als sei das uninteressant. Er hatte nur Blicke für mich, wunderte sich über mich und grübelte über meine Worte nach.
Seine Neugier, und dass er das, was bisher geschehen war, ohne Furcht zugelassen hatte, ließen ihn von innen heraus leuchten.
›Du siehst, wie sehr mich dies alles verlockt‹, sagte ich zu ihm.
›Der Marmor, dieser Teppich, die leichte Brise, die durchs Fenster kommt. Das ist der große Verführer: das Leben.‹
›Ja, und dann bin ich auch noch da, mich kennen zu lernen, mich zu lieben, das verlockt dich doch ebenfalls.‹
›Ja, das auch. Und dann sagte mir eine innere Stimme, dass mich auch schon in der Vergangenheit das Leben gelockt hatte, zum Beispiel dazu, schlechten Menschen zu dienen, wenn ich mich auch nicht an diese Männer erinnern kann. Immer wieder werde ich durch das Leben an sich, durch die Körper-lichkeit an sich verführt, und wenn sich dann die Tore zum Himmel für einen Moment auftun, werde ich abgewiesen. Ich darf nicht hindurch. Meine Gebieter tun diesen Schritt. Ihre schönen Töchter durchschreiten die Tore, Esther auch. Doch mir ist es nicht möglich.‹
Er sog scharf den Atem ein. ›Du hast die Tore zum Himmel erblickt?‹, fragte er ruhig.
›So sicher, wie du einen Geist erscheinen sahst‹, antwortete ich.
›Nun, ich habe sie auch gesehen, die Tore zum Himmel. Und ich habe den Himmel hier auf der Erde gesehen. Bleibe hier bei mir, bleibe bei mir, und ich schwöre dir, wenn sich die Tore für mich öffnen, werde ich dich mit mir nehmen. Du wirst es dir verdient haben.‹
Die Stimmen draußen wurden lauter, doch ich schaute nur ihn an, versuchte eine Antwort auf seine Worte zu finden. Er wirkte so bestimmt, so frei von Zweifeln, so entschlossen und mutig wie vor unserem Kampf.
Eigentlich konnte man die Stimmen draußen auf dem Gang nicht mehr ignorieren. Die Frau war ärgerlich. Man redete auf sie ein, als sei sie schwachsinnig. Doch das war alles weit weg. Jenseits der Fenster hing die schwarze Nacht mit den grellen Lichtern New Yorks, die den Himmel röteten, sodass man glauben musste, die Morgenröte nahe. Die Brise klang wie ein leises Lied.
Wieder schaute ich die Truhe an. Mir war nach Weinen zumute. Gregory hielt mich, die Welt hielt mich. Zumindest für jetzt,
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