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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie.‹
    Wie stets sah ich in dem mich umgebenden Wind, wie es immer schon gewesen war, andere Seelen. Ich sah ihre Bemü-
    hungen, mich wahrzunehmen und sich mir sichtbar zu machen. Ich wusste, sie spürten meine Energie, meine Lebenskraft, meine Zielstrebigkeit, und einen Augenblick lang glühten und glitzerten sie, dann waren sie verschwunden. Ich hatte sie und ihre Welt durchquert, diesen grässlichen dunst-verhangenen Bereich, der die Erde umgab wie Qualm, der über brennendem Abfall stand, und raste den Gebeinen entgegen, raste Gregory entgegen.
    ›Die Gebeine‹, sprach ich in den Wind. ›Die Gebeine!‹
    Die Lichter von New York breiteten sich unter mir aus, großartiger und ausgedehnter als je die Lichter des antiken Rom in seiner Blütezeit. Ich konnte schon Gregorys Stimme vernehmen.
    Und dann leuchteten im Dunkel vor mir die goldenen Gebeine auf, winzig zwar, weit entfernt, aber eindeutig meine Gebeine.«

    20

    »Der Raum war sehr groß, er gehörte weder zu Gregorys noch zu Rachels Apartment, sondern lag in einem höheren Stockwerk des Gebäudes. Jetzt erst wurde mir klar, dass dieses Bauwerk der ›Tempel vom Geiste Gottes‹ war, und alle seine Stockwerke wimmelten nur so von Menschen.
    Alles hier glitzerte von Stahl und Glas und Flächen aus versie-geltem Stein, härter als Granit; Maschinen waren längs der Wände installiert, ebenso Kameras, die den Bewegungen der Menschen im Raum folgten.
    Es waren eine Menge Leute hier.
    Ich betrat den Raum in meiner unsichtbaren Form, nachdem ich alle äußeren Begrenzungen ohne Schwierigkeiten durchquert hatte wie ein kleiner Fisch, der durch die Maschen eines Netzes schlüpft. Ich schlenderte zwischen den Tischen umher, beäugte die Videoschirme, die die Wände säumten, die Computer in ihren Nischen und verschiedene andere Vorrichtun-gen, die mir unverständlich waren.
    Lautlos flimmerten Neuigkeiten aus aller Herren Länder über die Bildschirme. Einige davon waren die gewöhnlichen Nachrichten, die jedermann empfangen konnte. Andere zeigten offensichtlich diverse Privatanwesen. Die Bilder dieser Überwachungskameras waren verwischt, wie in grünlichen Dunst gehüllt.
    Auf einem Tisch im Zentrum des Raumes lagen die Gebeine, daneben die leere Truhe. Die Männer, die Gregory umringten, waren offensichtlich Ärzte oder Wissenschaftler. Sie hatten die Haltung und Ausstrahlung von Gelehrten. Gregory erklärte ihnen gerade, dass die Gebeine uralte Relikte waren, soweit er es wusste. Sie sollten unter der Maßgabe, dass sie nicht zerstört oder schwer beschädigt werden durften, mit jedem nur möglichen Mittel untersucht werden - Röntgenstrahlen, Datie-rung nach der Radiocarbonmethode, Untersuchung der Bestandteile anhand winziger entnommener Partikel, oder dem Versuch, ihnen eventuell vorhandene Flüssigkeit zu entnehmen.
    Gregory wirkte etwas mitgenommen und zerzaust. Er trug noch die gleichen Kleider wie zuvor, aber er war nicht mehr der gleiche Mann.
    ›Sie hören mir alle nicht zu!‹, fauchte er seine ihm ergebenen Leibärzte an. ›Das hier ist unbezahlbar, behandeln Sie es dementsprechend! Keine Pannen! Kein Durchsickern an die Presse. Kein Durchsickern an die anderen Abteilungen hier!
    Machen Sie die ganze Arbeit selbst! Diese Plappermäuler von Technikern halten Sie gefälligst außen vor!‹
    Die Männer nahmen das mit Gelassenheit, ohne aber krieche-risch zu wirken, hin. Sie wechselten einvernehmliche Blicke miteinander und nickten würdig zu den Worten des Mannes, der die Rechnungen zahlte. Dabei kritzelten sie Notizen auf ihre Klemmblocks.
    Ich kannte den Typ Mann. Sehr modern eingestellte Wissenschaftler, die gerade so viel gelernt hatten, um sich sicher zu sein, dass nichts Übersinnliches existiert, dass die Welt aus nichts als Materie besteht, aus sich selbst entstanden oder das Ergebnis des berüchtigten ›Big Bang‹ ist. Geister, Beschwörungen, Gott und der Teufel waren nutzlose Vorstellungen. Diese Leute waren auch nicht gerade geborene Menschenfreunde. Im Gegenteil, ihnen allen war eine merkwürdige Härte eigen, nicht, dass sie irgendwie bedrohlich schlecht waren, es war eher eine moralische Deformation. Ich konnte das an ihrem Verhalten ablesen, als ich sie mit meinen übersinnlichen Fähigkeiten begutachtete. Sie alle hatten auf medizinischem Gebiet schon Ungesetzliches getan und waren dadurch völlig abhängig von Gregory Belkins Protektion.
    Mit anderen Worten: Sie waren eine Gruppe, die sich vor dem Gesetz verbarg und der Gregory

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