Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
konnte. Etwas, das mit Macht zu tun hatte. Diese Männer liebten die Macht, die sie hatten.
    Liebten auch das Projekt, an dem sie arbeiteten. Aber an welchem Projekt arbeiteten sie, wenn sie nicht gerade ein Relikt analysierten?
    Ich erlaubte ihnen, mich ganz genau zu betrachten, ließ dabei meinen Blick von Gesicht zu Gesicht wandern. Bis ich auf den Kopf der Gruppe traf. Ein hoch gewachsener, ausgezehrter Mann, der wahrhaftig sein Haar schwarz färbte und der wegen seiner Dürre älter aussah, als er in Wirklichkeit war, er war die Leuchte unter ihnen. Sein Blick war wesentlich kritischer und wesentlich misstrauischer als der der anderen. Und er regi-strierte Gregorys Reaktionen mit kühler Berechnung.
    ›Hören Sie, dieses Hologramm, das ist recht ausgefallen, aber wir könnten trotzdem heute Abend noch mit der Analyse beginnen. Ihnen ist klar, dass wir ein Bild des Mannes, dem die Knochen gehörten, zustande bringen können, ähnlich wie dieses Hologramm hier?‹
    ›Das bringen Sie wirklich fertig?‹, fragte ich.
    ›Ja, natürlich ...‹ Er hielt inne, als er merkte, dass er mit mir sprach. Er führte seine Arme rund um meinen Körper, die anderen machten es ihm nach. Sie versuchten den Projektions-strahl zu unterbrechen, der mein Bild ihrer Ansicht nach in den Raum warf.
    ›Eine simple wissenschaftliche Schlussfolgerung‹, murmelte ein anderer, indem er kühn den ganzen seltsamen Verlauf der Dinge ignorierte. ›Wir werden uns gleich um diese Sicher-heitsgeschichte kümmern.‹ Ein paar der anderen suchten noch immer die Wände und Decken ab. Ein Mann ging zum Telefon.

    ›Nein!‹, befahl Gregory sofort. Er hatte den Blick auf die Gebeine geheftet.
    ›... offensichtlich mit irgendwelchen Chemikalien durchtränkt; nun, das werden wir bald alles analysiert haben, ich meine, wir werden Ihnen sagen können ...‹
    Gregory wandte sich mir zu und schaute mich an. Und ich erfasste seine ganze Wesensart noch deutlicher als zuvor. Er war ein Mann, der sich alles, was ihm unter die Finger kam, zunutze machte; er war nicht passiv im Sinne des Wortes. Der Frust, den er im Moment fühlte, würde seine Wut und seinen Einfallsreichtum nur anfeuern, ihn zu größeren Anstrengungen antreiben. Im Augenblick hielt er einfach stand, versuchte Zeit zu gewinnen. Und was er jetzt erfuhr, würde seine Schläue und seine Fähigkeit zu überraschendem Handeln nur verstärken.
    Ich wandte mich den Wissenschaftlern zu und sagte mit absichtlich teuflischer Bosheit: ›Lasst mich wissen, was bei euren Tests herauskommt, ja?‹
    Das verursachte dann doch einigen Wirbel.
    Ich löste mich auf, verschwand auf der Stelle.
    Die Hitze in mir verflog, und die kleinen Partikelchen schwirrten auseinander, zu winzig, als dass man sie noch hätte sehen können.
    Doch die Männer spürten die Temperaturveränderung, die Bewegung, die durch die Luft ging. Sie waren verwirrt, schauten sich nach einer weiteren Projektion um oder nach einem Schalter, der den Lichtstrahl, der mich, wie sie dachten, hatte erscheinen lassen, in Gang setzte.
    Und jetzt wurde mir noch etwas an ihnen verständlich; sie hielten ihre Wissenschaft für allmächtig. Es gab nicht nur für mich, sondern für alles und jedes eine wissenschaftliche Erklärung.
    In anderen Worten, sie waren Materialisten, die ihre Wissenschaft für Magie hielten.
    Die Ironie, die darin lag, fand ich höchst erheiternd. Was immer ich tat, für sie wäre es nur eine Wissenschaft, die sie noch nicht ergründen konnten. Und ich war geschaffen worden von Leuten, die überzeugt davon waren, dass Magie die gleiche Macht hatte wie ›Wissenschaft‹, wenn man nur die richtigen Worte wusste!
    Ich schwebte empor, immer höher, drang durch Böden und Decken des Gebäudes, durch die glänzenden, aufgetürmten, betriebsamen Stockwerke aufwärts, bis ich die Gebeine nicht mehr sehen konnte. Der goldene Schimmer war fort.
    Ich war in der frischen kühlen Nachtluft. Finde Rachel, dachte ich. Du hast deinen Test bestanden, du weißt, dass du frei bist. Er kann dich nicht aufhalten. Geh, wohin du willst.
    Aber in Wahrheit hatte ich den Test erst dann wirklich bestanden, wenn ich mir nun abermals einen soliden, realen Körper erschaffen konnte.
    Der Schal! Ich hatte den Schal vergessen!
    Ich schwebte näher an das Gebäude heran. Erst jetzt nahm ich seine ganze Größe und Pracht wahr. Nach oben verjüngte es sich wie ein antiker Anbetungsort. Es war bis hin zu den obersten Stockwerken mit Granit beschichtet. Es

Weitere Kostenlose Bücher