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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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trug ich also einen solchen Anzug. Mit dem Schal in der Hand steuerte ich Rachels Domizil am Ende des Ocean Drive an.
    Köpfe drehten sich nach mir um, und Menschen lächelten mich an; die Leute hier hatten einen Blick für den anderen, sie wollten Schönheit sehen. Eine Atmosphäre wie ein immer währendes Festival lag in der Luft. Plötzlich griff ein Mädchen nach meinem Arm. Ich war irritiert, wirbelte herum und blieb vor ihr stehen. Während ich den Kopf vor ihr neigte, fragte ich:
    ›Ja, was ist?‹
    Sie war kaum mehr als ein Kind, mit großen Brüsten und kaum bekleidet unter ihrer rosa Baumwolltunika. Ihr Haar war blond und wollig und wurde in ihrem Nacken von einer breiten rosa Schleife zusammengehalten.
    ›Ihr Haar‹, sagte sie. ›Sie haben so wunderschönes Haar!‹
    Ihre Augen blickten träumerisch.
    ›Oh, bei diesem Wind ist es recht lästig‹, sagte ich lachend.
    ›Das habe ich mir gedacht‹, sagte sie. ›Als Sie mir entgegen-kamen, sahen Sie so richtig glücklich aus. Nur Ihr Haar wehte Ihnen andauernd ins Gesicht. Hier, nehmen Sie das.‹ Sie lachte fröhlich, während sie eine goldfarbene Kette von ihrem Hals löste.
    ›Aber ich kann Ihnen nichts dafür geben‹, murmelte ich.
    ›Oh, Ihr Lächeln genügt mir völlig‹, sagte sie, lief um mich herum, raffte meine Haare im Nacken zusammen und wand die Kette darum. ›So sehen Sie viel cooler aus, und außerdem ist es viel bequemer.‹ Sie hüpfte vor mir auf und ab, tänzelte mit ihren nackten Beinen in Sandalen, die nur von einem einzelnen Riemchen am Fuß gehalten wurden. Ihre kurze Tunika verhüllte kaum ihre Unterwäsche.
    ›Danke, vielen herzlichen Dank‹, sagte ich und verneigte mich tief. ›Ach, ich wünschte, ich hätte irgendetwas für Sie, wie kann ich nur ...‹ Wie konnte ich nur an ein einigermaßen wertvolles Objekt kommen, ohne es zu stehlen? Ich fühlte mich beschämt, als mein Blick auf den Schal in meiner Hand fiel.
    ›Oh, ich gäbe Ihnen ... das hier ...‹
    Sie legte ihre kleine Hand auf die meine, die den Schal hielt, und sagte: ›Sie brauchen mir nichts zu geben! Lächeln Sie einfach noch einmal für mich!‹ Und als ich das tat, lachte sie laut auf.
    ›Ich wünsche Ihnen Glück und Segen. Ich wünschte, ich dürfte Sie küssen‹, sagte ich.
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang die Arme um meinen Hals und drückte mir einen feuchten wollüstigen Kuss auf den Mund, der jedes Molekül meines Körpers erschauern ließ. Ich bebte. Unfähig, sie sacht von mir zu schieben, verfiel ich ihr im Gegenteil auf der Stelle, und das mitten auf der hell erleuchteten Straße, umweht von der frischen Brise, während Hunderte von Leuten sich an uns vorbeischoben.
    Doch dann löste mich ein Ruf aus meiner Versunkenheit. Es war Rachel, die nach mir rief, und sie war ganz in der Nähe, sie weinte.
    ›Ich muss jetzt weiter, meine Hübsche‹, murmelte ich. ›Sie sind so süß.‹ Dabei küsste ich sie noch einmal und eilte dann die Straße entlang, mich ermahnend, ein menschliches Tempo einzuhalten. Oben auf dem Hang sah ich schon Rachels Haus liegen. In weniger als fünf Minuten hatte ich es erreicht. Der Kuss dieses Mädchens war für mich das, was ein Schluck Wein für einen sterblichen Mann ist. Ich lachte in mich hinein.
    Ich war mit einem Mal so glücklich darüber, lebendig zu sein, dass ich sogar ein Fitzelchen Mitleid mit denen hatte, die mir oder sonst jemandem je Unrecht getan hatten. Allerdings hielt das nicht lange an, dafür war der Hass zu sehr ein Teil meines Wesens.
    Aber diese freundlichen, sanften Menschen hier könnten ihn vielleicht zum Schmelzen bringen.
    Als ich mich der Gartenterrasse des Hauses näherte, lenkte ich den Blick auf dessen grandiose Höhe, ehe ich hastig über einen Zaun sprang und über die Zufahrt sprintete. Dass ich dabei ein Sicherheitstor übersah, entging mir auf meinem Weg zu Rachels Haustür.
    Dort parkte schon eine große weiße Limousine, der Rachel gerade entstieg. Ritchie, ihr verlässlicher Fahrer, führte sie am Arm, er war erregt, schwieg aber. Keine Reporter, keine sonstigen Leute. Nur die zum Haus gehörenden Angestellten in weißer Uniform. Und der Wind, der raschelnd durch die pur-purfarbenen Trompetenblumen fuhr.
    Ich wandte den Blick und sah abermals das Meer, das sich unter den weißen Wolken schier ins Unendliche erstreckte.
    Dies war für mich wie der Himmel. Auf der anderen Seite des Gebäudes erblickte ich eine kleine Bucht mit dem gleichen gleißenden,

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