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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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weiß?
    Aber zurück dazu, wie ich meine Tage verbrachte. Wenn ich im Palast oder in der Bibliothek oder auf dem Markt meine Arbeit beendet hatte, ging ich geradewegs heim und arbeitete den Rest des Abends an den Heiligen Schriften, zusammen mit meinen Geschwistern und Verwandten in dem weiträumigen Skriptorium meines Vaterhauses.
    Ich erwähnte ja schon, dass ich immer recht lebhaft war, und ich pflegte die Psalmen lauthals zu intonieren, während ich sie niederschrieb, und das reizte ausgerechnet meinen schwerhö-
    rigen Onkel ganz besonders häufig. Ich weiß nicht, warum.
    Immerhin war er ziemlich taub! Und außerdem habe ich eine schöne Stimme.«
    »Ja, das ist wahr.«
    »Warum sollte sich also ein tauber Mensch derart aufregen?
    Aber er wusste, dass ich die Psalmen nicht einfach sang, so wie vorhin für dich, sondern mit etwas mehr Schwung, sozusagen, als gäbe es dazu Cymbalklänge und Tänzerinnen, und das machte ihn so ungehalten.
    Seine Worte waren: ›Es gibt eine passende Zeit zu schreiben und eine passende Zeit, den Herrn zu loben mit seinen Liedern.‹ Ich lenkte dann achselzuckend ein, aber ich war schon der Typ, der gerne Unsinn macht. Doch du bekommst einen falschen Eindruck von mir. So schlecht war ich nun auch wieder nicht ...«
    »Ich glaube, ich weiß, was für ein Typ du bist - und damals warst...«
    »Ja, ich schätze, das hast du inzwischen mitbekommen, und wenn du mich für schlecht gehalten hättest, hättest du mich wohl hinausgeworfen in die Kälte.«
    Er sah mich an. Seine Augen waren nicht wild. Die Brauen waren massig und tief angesetzt, doch seine Augen waren so groß, dass ihn das trotzdem hübsch aussehen ließ. Und er schien mir nun herzlicher und entspannter als vorher, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen und wollte alles über ihn erfahren.
    Aber ich fragte mich doch: Wäre ich überhaupt in der Lage, ihn hinauszuwerfen?
    »Ich habe vielen Menschen das Leben genommen«, kam seine Reaktion, indem er den Gedanken direkt von mir über-nahm, »aber ich würde dir nichts antun. Jonathan Ben Isaak, das weißt du. Attentäter habe ich getötet! Einem Menschen, wie du es bist, würde ich nichts antun. Zumindest setzte ich mir diesen Ehrenkodex, als ich endlich wieder zu mir selbst gefunden hatte. Der Kodex gilt noch immer.
    Als ich gerade zum ›Hüter der Gebeine‹ gemacht worden war, als ich noch der verbitterte, zornige Geist in den Diensten machtvoller Magier war, tötete ich auch Unschuldige, wenn es der Wille meines Meisters war, denn ich glaubte, es tun zu müssen. Ich dachte damals, der Mensch, der mich heraufbeschwören könne, könne mich auch beherrschen, deshalb handelte ich nach seinem Willen. Doch dann kam der Moment, wo ich erkannte, dass ich nicht auf ewig ein Sklave sein müsse, dass ich vielleicht immer noch gottgefällig handeln könnte, obwohl meine Seele von meinem Geist getrennt war und beides von meinem Körper. Und dass so vielleicht eines Tages die drei wieder ein Ganzes und in einer Gestalt vereint sein würden. Ach!«

    Er schüttelte den Kopf.
    »Aber Asrael, vielleicht hast du das schon erreicht!«
    »O Gott, Jonathan, versuche nicht, mich zu trösten. Das kann ich nicht ertragen. Höre mich nur zu Ende an. Sieh nach, ob die Tonbänder funktionieren. Erinnere dich stets an mich. Erinnere dich meiner Worte ...«
    Seine Zuversicht verließ ihn plötzlich. Er starrte wieder ins Feuer.
    »Meine Familie, mein Vater«, murmelte er. »Mein Vater! Wie sehr ihn doch geschmerzt hat, was er schließlich tat, und wie er mich dabei ansah! Er sagte etwas im Zusammenhang damit, mir Schmerz zufügen zu müssen. Weißt du, was er sagte?
    ›Asrael, liebt mich auch nur einer meiner Söhne so sehr wie du? Und nur du könntest mir hierfür je vergeben!‹ Und er meinte es. Meinte es wörtlich, er, mein Vater, mein kleiner Bruder, der mir tränenüberströmt, mit tiefster Wahrhaftigkeit und Überzeugung ins Gesicht schaute!
    Entschuldige. Ich greife vor. Mein Tod kommt noch früh genug. Es sind nur noch ein paar Seiten bis dahin, schätze ich.«
    Er bebte am ganzen Körper. Und wieder standen Tränen in seinen Augen. »Verzeih, denke einfach daran, dass ich mich in all den Tausenden von Jahren an diese Dinge nicht erinnern konnte. Ich war ein verbitterter Geist, ohne Erinnerungsvermögen. Und nun, da mir alles wieder einfällt, gieße ich es vor dir aus. In Tränen aufgelöst, schütte ich dir mein Herz aus.«
    »Sprich ruhig weiter. Schenk mir deine Tränen, dein Vertrauen,

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