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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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werden wir später nur streifen, denn was ich als der bösartige Hü-
    ter der Gebeine tat, ist hier nicht interessant - nur, dass ich jedes Mal, wenn ich ein menschliches Leben nahm, auch eine ganze Welt zerstörte, nicht wahr?«
    »Möglich, oder vielleicht war es so, dass du die sündige Flamme heimsandtest, sodass sie in Gottes mächtigem Feuer gereinigt werde.«
    »Oh, das klingt wunderschön«, sagte er zu mir.
    Das schmeichelte mir; aber glaubte ich auch an meine eigenen Worte?
    »Nun, weiter mit meiner Lebensgeschichte«, sagte Asrael.
    »Ich war bei Hofe tätig, sobald ich das Skriptorium verließ, und dabei waren meine Schreib- und Lesekünste von größter Bedeutung. Ich konnte alle Sprachen. Viele merkwürdige Dokumente und alte Briefe in Sumerisch kamen mir vor Augen, und ich machte mich Belsazar nützlich, der, wie schon erwähnt, Stellvertreter des Königs war. Er konnte das Neujahrsfest nicht abhalten, oder vielleicht ließen es die Priester oder auch Marduk nicht zu, was weiß ich, aber es war eben sein Schicksal, ungeliebt zu bleiben. Und doch konnte ich nicht sagen, dass dadurch im Palast schlechte Stimmung herrschte, nein, die war angenehm entspannt, und natürlich gab es eine nimmer enden wollende Flut an Korrespondenzen. Briefe trafen von entlegenen Gebieten ein, mit Klagen über die Perser, die im Anmarsch waren, oder auch über die Ägypter, die im Anmarsch waren, oder mit Vorhersagen diverser Astrologen, die aus den Sternen Gutes oder Schlechtes für den König gelesen hatten. Im Palast lernte ich weise Männer kennen, die dem König in allen Dingen Rat spendeten, ich lauschte ihnen gern, und mir wurde klar, dass, wenn Marduk zu mir sprach, diese Weisen es auch manchmal hören konnten. Und ich erfuhr, dass diese Sache mit Marduks Lächeln nie in Vergessenheit geraten war. Marduk hatte Asrael zugelächelt.
    Nun, was ich doch für Geheimnisse hatte.
    Stell dir also vor: Ich bin auf dem Heimweg. Neunzehn bin ich und habe nur noch kurze Zeit zu leben, aber das weiß ich na-türlich nicht. Ich sagte zu Marduk: ›Wie können die weisen Männer hören, wenn du mit mir sprichst?‹ Er sagte, dass diese Männer Seher, Hexenmeister seien, genau wie einige meiner hebräischen Brüder, unsere Propheten, unsere Weisen, wenn es auch keiner von ihnen so recht zugeben mochte, und dass sie die gleiche Gabe wie ich hätten, nämlich die Stimmen von Geistern vernehmen zu können. Er seufzte und sagte zu mir in sumerischer Sprache, dass ich sehr vorsichtig sein müsse.
    ›Diese Männer kennen deine Kräfte!‹
    Ich hatte Marduk noch nie unglücklich erlebt, doch nun klang er so. Schon lange waren wir über die Zeit hinaus, da ich ihn um Gefälligkeiten gebeten hatte oder darum, jemandem einen Streich zu spielen; wir sprachen inzwischen über gewichtigere Dinge, und er betonte stets, dass er vieles durch meine Augen klarer sehen könne. Ich wusste nicht, was er damit meinte, aber an diesem speziellen Tage, als er so niedergeschlagen klang, war ich besorgt.
    ›Meine Kräfte!‹, sagte ich sehr sarkastisch. ›Welche Kräfte denn? Du hast gelächelt! Du bist der Gott!‹ Er schwieg, aber ich wusste, er war noch da. Ich konnte seine Gegenwart stets fühlen, wie Hitze; ich hörte ihn, wie man jemanden atmen hört.
    Weißt du, so, wie ein Blinder weiß, dass jemand in seiner Nä-
    he ist.
    Ich war im Begriff, unser Anwesen zu betreten, als ich mich noch einmal umwandte. Und da sah ich Marduk zum ersten Mal wirklich. Ihn selbst. Nicht die goldene Statuette aus meinem Zimmer. Nicht die riesigen Standbilder des Tempels.

    Nein, Marduk selbst.
    Er lehnte an der gegenüberliegenden Mauer, die Arme verschränkt, ein Knie angewinkelt, und sah mich einfach an. Es war Marduk. Wie in dem Schrein war er gänzlich von Gold überzogen, doch hier war er lebendig, und seine lockigen Haupt- und Barthaare wirkten nicht wie bei der Statue, als seien sie aus massivem Gold geformt, sondern sie schienen zu leben. Seine Augen waren tief dunkelbraun, nicht wie meine, deren Iris ins Gelbliche schimmerte. Er lächelte mich an und sagte: ›Ach, Asrael, ich wusste, dass das geschehen würde.
    Ich wusste es.‹ Und dann trat er vor und küsste mich auf beide Wangen. Seine Hände waren so glatt. Wir waren gleich groß, und ich hatte tatsächlich Recht gehabt: Wir waren uns sehr ähnlich, obwohl seine Augenbrauen sich etwas höher über seinen Augen wölbten als meine, und seine Stirn war glatter, wodurch er weniger schalkhaft und wild wirkte

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