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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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deinen Schmerz. Ich werde dich nicht im Stich lassen.«
    »Ach, du bist etwas Besonderes, Jonathan Ben Isaak.«
    »Nein, wirklich nicht. Ich bin ein Lehrer, ich bin ein ganz zufriedener Mensch, ich habe eine Frau, habe Kinder, die mich lieben. Ich bin nichts Besonderes.«
    »Aber du bist ein guter Mensch und trotzdem bereit, mit jemandem zu sprechen, der schlecht ist! Das macht dich so au-
    ßergewöhnlich. Der chassidische Rabbi wandte sich von mir ab!« Er lachte urplötzlich auf, ein tiefes, bitteres Lachen. »Er war sich zu gut, um mit dem ›Hüter der Gebeine‹ zu sprechen.«
    Ich lächelte: »Wir sind zwar alle Juden, aber es gibt solche und solche.«
    »Ja, und jetzt gibt es auch noch Israelis, die Makkabäer sein möchten. Und dann sind da noch die Chassidim.«
    »Und andere orthodoxe Juden, und auch ›reformierte‹ und was weiß ich welche noch. Komm lieber auf dein Thema zu-rück, in deine Epoche. Ihr wart also eine große, glückliche Familie.«
    »Ja, das stimmt. Und ich war dabei, dir zu erklären, dass es für reiche Hebräer gang und gäbe war, im Palast zu arbeiten.
    Das taten, wie gesagt, auch mein Vater und viele meiner Cousins. Wir waren Schreiber, doch wir waren auch Kaufleute; wir handelten mit Juwelen, Seide, Silber und eben mit Büchern.
    Mein Vater hatte großes Geschick darin, edelste Gefäße auf-zutreiben, bestimmt für die Tafel des Königs sowie für den Tempel und die Altäre Marduks und für Marduk selbst.
    Damals gab es innerhalb des Tempels viele kleine Seitenka-pellen mit Altären für andere Gottheiten, und täglich wurde jeder dieser Gottheiten, und so auch Marduk, eine Mahlzeit gerichtet. Für diese Zwecke gab es im Tempel einen großen Vorrat an goldenem und silbernem Geschirr. Und die Aufgabe meines Vaters war es, die Gefäße auszusortieren, die nicht in Ordnung waren.
    Häufig begleitete ich ihn hinunter zu den Docks, wo die Schiffe mit den kostbaren neuen Waren aus Griechenland oder Ägypten anlegten, und ich lernte von ihm, die Gravuren auf den Bechern zu beurteilen oder die beste Feingoldmischung zu erkennen. Ich lernte, Diamanten oder Rubine oder Perlen auf ihre Echtheit zu prüfen - oh, ich liebte vor allem die Perlen; wir handelten mit den unterschiedlichsten Arten, wir nannten sie
    ›Augen des Meeres‹.
    So verdienten wir uns unseren Lebensunterhalt - auf dem Marktplatz, im Tempel und im Palast.
    Über den ganzen Markt verteilt hatten Mitglieder meiner Familie ihre Stände, an denen sie mit Geschmeide, mit Honig und mit Tuchballen handelten - purpur und blau gefärbte waren am kostbarsten, wenn es um Seide und Leinen ging -, und auch Weihrauch verkauften sie, obschon die Käufer Götzenanbeter waren, die den Weihrauch für Nabu oder Ischtar verbrannten oder natürlich für Marduk. Doch das alles sicherte unseren Lebensunterhalt, es war unsere Quelle der Macht, unsere Methode, stark zu sein, die Familie zusammenzuhalten, um eines Tages wieder heimkehren zu können. Der Handel war ebenso wichtig wie die Abschriften der Heiligen Bücher.«
    »Das ist eine alte Geschichte«, sagte ich.
    »Übrigens bescherte dieser Handel meinem Hause einen prächtigen Lebensstil, den wir als Kamelzüchter wohl nicht gehabt hätten. Und das muss dir zum Verständnis dafür dienen, dass der Reichtum, der uns umgab, die Werteskala meines Vaters ebenso beeinflusste wie die meine. Ich will sagen, wir verdienten nicht nur unser Geld damit, nein, auch durch unser Haus wurden ständig Handelsgüter geschleust. Du weißt schon, zum Beispiel eine herrliche Statue der Göttin Ischtar, aus Zedernholz gearbeitet, die direkt aus Dilmun ein-getroffen war. Mein Onkel ließ sie ein oder zwei Wochen im Hause stehen, wo sie den Wohnraum schmückte, ehe er sie schließlich weiterverkaufte. Das Anwesen quoll regelrecht über von hübschen Fußschemeln, zierlichen Möbeln aus Ägypten, schlanken, schwarzrot bemalten Vasen und Gefäßen aus Griechenland, also alles, was man nur tragen konnte, was gefällig verziert und schön anzusehen war.«
    »Du wuchsest inmitten von Schönheit auf, so war es?«
    »Ja«, sagte Asrael. »So war es. Tatsächlich. Und trotz all meines aufreizenden Geredes und Gehabes und meines Schä-
    kerns mit Marduk schenkte man mir doch allenthalben Liebe.
    Mein Vater, meine Brüder liebten mich, meine Schwestern und Onkel, und selbst der taube Onkel, sie liebten mich. Und eine Prophetin sagte einmal zu mir: ›Jahwe schaut auf dich mit Liebe.‹ Genau so sagte die alte Hexe Asenath.

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