Engel der Verdammten
Tränke mit den wilden Tieren - oh, es ist so wichtig in dieser Welt, mit wem einer isst und trinkt und was auch! -, wie auch immer, wir haben da den unzivilisierten Engidu, der aus dem Strom trinkt, zusammen mit den wilden Tieren; und dann verbringt er sieben Tage mit einer Tempelhure und wird dadurch ganz zahm und umgänglich.
Albern, was? Die wilden Tiere wollten ihn nicht mehr bei sich dulden, nachdem er bei der Hure war. Warum? Waren sie eifersüchtig, weil sie nicht bei der Hure liegen konnten? Tiere paaren sich doch auch untereinander! Gibt es keine Huren unter den Tieren? Warum lässt der Beischlaf mit einer Frau einen Mann weniger Tier sein? Ah, die ganze Gilgamesch-Geschichte machte noch nie viel Sinn, außer man betrachtet sie als eine Art bizarres Gleichnis. Alles ist verschlüsselt, nicht wahr?«
»Ich glaube, da hast du Recht, es ist ein Gleichnis«, antwortete ich. »Nur wofür? Fahre fort mit Gilgamesch. Erzähle mir, wie deine Version ausgeht«, bat ich ihn. Ich konnte einfach nicht widerstehen. »Du weißt, wir haben nur noch Fragmente, nicht mehr die Urschrift, die du hattest.«
»Sie hatte das gleiche Ende wie deine neuere Version. Gilgamesch konnte sich nicht damit abfinden, dass Engidu sterben könne. Doch er starb, obwohl ich nicht mehr weiß, warum.
Gilgamesch verhielt sich, als hätte er nie zuvor jemanden sterben sehen. Er ging zu dem Unsterblichen, der die große Flut überlebt hatte. Die Sintflut. Deine Flut. Unsere Flut. Jedermanns Flut. Für uns waren es Noah und seine Söhne, die überlebten. Für Gilgamesch war es der Unsterbliche, der in dem Lande Dilmun lebte, im Meer. Er war der berühmte Überlebende der Flut. Und zu dem macht sich dieses Genie Gilgamesch auf den Weg, um Unsterblichkeit zu erlangen. Und dieser Uralte, der für unser Volk der Hebräer Noah wäre - was sagt der? ›Gilgamesch, meide sieben Tage und Nächte hintereinander den Schlaf, und du wirst unsterblich sein!‹
Und was geschah? Gilgamesch schlief sofort ein. Auf der Stelle! Er schaffte nicht mal einen Tag! Eine Nacht! Er fiel um! Einfach so! Und war eingeschlafen! Dieser Vorschlag funktionierte also nicht. Allerdings hatte die unsterbliche Alte des unsterblichen Überlebenden der Flut Mitleid mit Gilgamesch. Sie sagte ihm, wenn er sich Steine an die Füße bände und sich im Meer versinken ließe, werde er dort eine Pflanze finden; die solle er verzehren, und sie werde ihm ewige Jugend verleihen. Na, ich meine, sie versuchten, den Mann zu ertränken! Aber in meiner wie in deiner Version unternimmt Gilgamesch diese Expedition hinab auf den Meeresgrund, wo er die Pflanze findet und wieder auftaucht. Dann legt er sich schlafen. Offensichtlich ist das sein schlimmstes Laster, dieses ständige Einschlafen ... und eine Schlange kommt und stiehlt ihm die Pflanze. Ach, welch eine bittere Enttäuschung für Gilgamesch! Und dann folgt in der Sage der ewig gleiche Rat an alle Menschen: ›Genießt euer Leben, füllt euch die Bäuche mit Speisen und Wein und akzeptiert den Tod. Die Unsterblichkeit ist den Göttern vorbehalten, das Los der Menschen ist der Tod.‹ Du weißt schon - grundlegende philosophische Erkenntnisse!«
Ich lachte: »Wie du das erzählst, finde ich toll. Wenn du zu jener Zeit hergingst und diese Geschichte vortrugst, tatest du es dann mit dem gleichen lebhaften Schwung?«
»Worauf du dich verlassen kannst!«, gab er zurück. »Doch selbst damals, was hatten wir denn, außer Fragmente, Teile von etwas sehr Altem. Uruk war schon Tausende von Jahren vor uns Juden erbaut worden. Vielleicht gab es einen solchen König wirklich, wer weiß!
Eines kann man auf jeden Fall aus dieser Geschichte ziehen, und das ist dies: Bei Königen ist Verrücktheit normal. Geistige Gesundheit, denke ich, wäre eher das Unnormale. Gilgamesch drehte durch. Nabonidus war verdreht. Nach allen Er-zählungen zu urteilen, die ich je gehört habe, war auch der Pharao verrückt, wenn du mich fragst. Und ich kann das sogar verstehen. Ich verstehe es, weil ich in das Gesicht des Perserkönigs Kyros gesehen habe, und auch in Nabonidus' Gesicht; und ich weiß, dass Herrscher einsam sind, allein stehen, gänzlich allein. Ich sah in Belkins Gesicht - der ein Herrscher aus eigenen Gnaden war -, und ich sah die gleiche Isolation, und erschreckende Schwäche. Es gibt weder Mutter noch Vater, es gibt keine Grenze der Macht, und deshalb ist Unglück und Elend das Los der Könige.
Ich sah auch das Angesicht anderer Herrscher, doch die
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