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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wieder fand und meine Jagd auf die Killer Esther Belkins begann, traf ich auf Gregory Belkins Großvater, der ein Rabbi ist, in Brooklyn. Da sah ich, dass viele der Juden, so strenggläubig sie auch sind, doch ihren Lebensunterhalt dort verdienen, indem sie Handel treiben, so wie wir damals in Babylon. Und ich sah, was du auch selbst schon gesagt hast, dass unter den Juden alle Abstufungen des Glaubens vertreten sind.«
    Er brach abermals ab. Er drängte sich nicht unbedingt danach, so bald auf den schmerzlichen Teil seiner Erzählung zu kommen.
    »Zurück zu Babylon! Stell dir vor, du siehst mich in der Taverne tanzen, zusammen mit meinem Vater. Nur die Männer tanzten in jener Nacht dort, Huren waren nicht da. Ein reiner Männerabend. Und ich erzählte ihm: ›Ich habe den Gott mit meinen eigenen Augen gesehen, ich habe ihn erblickt und an mein Herz gedrückt. Vater, ich bin ein Götzenanbeter, doch ich schwöre dir, er ist mir erschienen, und er schreitet an meiner Seite.‹
    Und sieh, da, in der Ecke dort hinten wendet sich Marduk bewusst von mir ab und schüttelt abwehrend den Kopf.
    Stunden später stritten mein Vater und ich immer noch. Er sagte: ›Du bist ein Weiser, du bist ein Seher, und du hast die dir verliehenen Kräfte missbraucht. Deine Pflicht ist es, sie für dein Volk einzusetzen.‹
    ›Aber das will ich, Vater, ganz bestimmt, doch du musst mir sagen, was ich tun soll. Marduk bittet mich um nichts. Was verlangst du von mir?‹
    Am nächsten Tag war ich einige Häuserblocks von meinem Heim entfernt, als Marduk sich mir zeigte, durchscheinend, golden, aber eindeutig sichtbar. Er warnte mich: ›Berühre mich nicht, sonst müssen wir uns mit einem Aufsehen erregenden Wunder herumschlagen.«
    ›Sag, bist du böse auf mich, weil ich mit meinem Vater über die Sache gesprochen habe?‹, fragte ich ihn geradeheraus.
    Wie zwei Freunde gingen wir nebeneinander her, und allein schon ihn sichtbar vor Augen zu haben, empfand ich als tröstlich.
    ›Nein, Asrael, ich bin nicht ärgerlich, nur traue ich den Priestern nicht. Im Tempel gibt es sehr, sehr viele alte, Komplotte schmiedende Priester, und man weiß nie, was sie von dir verlangen könnten. Nun hör mir zu. Ich muss dir ein paar Sachen erläutern, ehe wir uns noch tiefer darin verstricken, oder besser gesagt, du dich; denn tiefer als ich kann man gar nicht drin sein. Komm mit mir in die öffentlichen Gärten. Ich sehe dir so gern beim Essen und Trinken zu.‹
    Wir gingen also in seinen Lieblingspark, der unten am Euphrat gelegen war, sehr groß, sodass die geschäftigen Umtriebe des Hafens und der Werften nicht herüberdrangen. Eigentlich lag der Park näher an einem der Kanäle, die dort in den Fluss mündeten, als am Fluss selbst, an dem es immer am betrieb-samsten war. Gewaltige Trauerweiden beschatteten den Park, gerade wie es in dem Psalm heißt - du weißt schon! Ein paar Musikanten spielten dort auf ihren Flöten, tanzten und hofften auf ein geringes Trinkgeld.
    Marduk setzte sich mir gegenüber und verschränkte die Arme.
    Wir sahen uns wirklich ähnlich; wir hätten Geschwister sein können. Ich überlegte, dass ich ihn besser kannte als jeden meiner Brüder. Und nur nebenbei gesagt, ich hasste meine Brüder keineswegs, so wie es immer in den alten biblischen Geschichten ist. Das vergiss ruhig. Ich liebte meine Brüder.
    Sie waren ein wenig zahm, was das Trinken und Tanzen anging. Mit meinem Vater hatte ich mehr Spaß. Aber ich liebte sie.«

    Er brach ab, wie aus Achtung vor seinen toten Brüdern. In seinem roten Samtgewand erschien er mir inzwischen mehr als nur schön, und diese Unterbrechungen, die mir immer wieder Gelegenheit gaben, ihn zu betrachten, ließen ihn nachgerade verführerisch auf mich wirken. Doch er begann wieder zu erzählen:
    »Marduk redete ohne Umschweife auf mich ein: ›Hör zu, ich werde dir jetzt die Wahrheit sagen, und du gibst gut Acht. Ich weiß nichts von meinem Ursprung, ich habe keine bewusste Erinnerung daran. Ich kann mich nicht erinnern, Tiamat, den großen Drachen, erschlagen und aus seiner einen Hälfte die Welt und aus der anderen das Himmelsgewölbe gemacht zu haben. Was allerdings nicht heißt, dass es nicht so war. Oft wandere ich wie in einem dichten Nebel. Ich sehe die Geister der Götter und die umherschweifenden Geister der Toten, und ich lausche auf die Gebete und versuche, ihnen zu entsprechen. Doch der Ort, an dem ich weile, ist trübsinnig und fade. Es ist immer eine große Freude für mich,

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