Engel der Verdammten
servieren, die von der Tafel des Gottes essen dürfen.
Nichts passiert!‹
Wir zogen durch alle Viertel Babylons, den Fluss und die Ka-näle entlang, wir überquerten Brücken und gingen durch verschiedene Distrikte, über den Marktplatz und durch viele öffentliche Gärten und Parks. Er starrte alles in grenzenloser Begeisterung an, und nun, da ich selbst ein Geist bin, kann ich natürlich verstehen, was es für ihn bedeutete, all die lebhaften Farben zu sehen. Und ich verstehe, was er hatte ertragen müssen.
Nahe dem Ischtar-Tor blieb er abrupt stehen. ›Siehst du das?‹
Und ich sah es in der Tat: die Göttin selbst, die drohend auf uns beide herabschaute. Sie war von Gold und Juwelen bedeckt und unsichtbar, doch ich konnte wahrhaftig ihr zorniges Antlitz erkennen.
›Ha, ihr gefällt nicht, was ich hier tue, dass ich entkommen bin!‹ Er blieb stehen, und Besorgnis stieg in ihm auf. Zum ersten Mal wirkte er, als habe er Angst. Nein, nicht Angst. Vor-ahnungen. Er war auf der Hut. Und ich verstand, warum. Um uns herum hatten sich inzwischen viele Geister gesammelt, die ihn betrachteten, ihm neideten, was er erreicht hatte, und ihn mit drohend gefurchten Brauen herausfordernd ansahen.
Und Götter hatten sich eingefunden. Der Gott Nabu war dort!
Ich sah ihn. Und da war auch der Gott Schamasch. Nun waren das alles babylonische Götter, die ihre eigenen Tempel und Priester hatten. Doch ich sah ihnen deutlich an, dass sie wü-
tend auf uns waren.
›Warum hast du keine Angst vor ihnen, Asrael?‹, hauchte mir Marduk vertraulich ins Ohr.
›Sollte ich denn, mein Herr? Erstens bist du bei mir, und zweitens bin ich Hebräer. Das sind nicht meine Götter.‹
Das fand er erheiternd, und er fing an, unbändig zu lachen. Ich hatte ihn noch nicht lachen hören, seit er sichtbar Gestalt angenommen hatte. ›Das ist eine typisch hebräische Antwort‹, sagte er.
›Ja, das kommt mir auch so vor‹, stimmte ich ihm zu. ›Herr, würde ich sie kränken, wenn ich einfach so täte, als sähe ich sie nicht? Und wären sie beleidigt, wenn du sie in Bann schlü-
gest?‹
›Nein, ich bin der oberste Gott hier.‹ Und er machte eine entschlossene, zornige, kühne Geste, und die Geister verblichen und wurden wie Rauch, selbst der erboste Schamasch, und sie verschwanden.
Doch was blieb, das waren die ruhelosen Seelen der Verstorbenen. Marduk breitete die Arme aus und segnete sie. Er wechselte in die sumerische Sprache, wobei er einen Segen nach dem anderen sprach. ›Legt euch wieder nieder, kehrt zurück zu eurem Schlummer, ruht dort in der Mutter Erde, im Frieden eurer Gräber, ruht in der Geborgenheit der Erinnerungen, die eure Kinder für euch in ihren Herzen hegen.‹
Und Gott sei Dank verließen uns alle diese Seelen. Natürlich standen wir beide immer noch gut sichtbar an der gleichen Stelle. Wir riefen einige Aufmerksamkeit hervor, vor allem dieser edle Herr, der so außerordentlich merkwürdige Gesten vollführte für Leute, die niemand wahrnehmen konnte, und an seiner Seite dieser reiche, juwelenbehängte Hebräer, der sein Page oder Begleiter oder was auch immer war.
Doch wenigstens waren die Toten fort. Trauer überkam mich.
Mir fiel ein, was der Geist Samuels sagte, als die Hexe von Endor ihn für Saul heraufbeschworen hatte: ›Warum störst du meine Ruhe?‹ Doch wie jammervoll war diese Ruhe. Das wollte ich nicht, wirklich nicht. Ich wollte nicht tot sein. Ich griff nach Marduks Hand und klammerte mich daran. Selbstverständlich war er inzwischen stärker geworden, dadurch, dass ihn so viele Menschen erblickt hatten. Ich muss dir diesen Vorgang wohl nicht näher erklären; es ist ganz einfach, seine Kraft würde zusehends wachsen, je länger er sichtbar war.
Einige andere Dinge verwirrten mich jedoch. Warum, zum Beispiel, ließ er sich nicht auf diese Art von den Priestern lebendig machen, um, der Gott in Person, goldbedeckt durch die Stadt zu wandern? Ich hatte zwar noch von keinem Gott etwas Derartiges gehört, aber bevor ich Marduk traf, war mir auch noch kein Gott begegnet. Er las mir diese Gedanken vom Gesicht ab. Immer noch wirkte er, als hege er Bedenken.
›Asrael, zuerst einmal haben die Priester nicht die Kraft, um mich in meiner goldenen Gestalt lebendig und sichtbar werden zu lassen. Sie könnten die Statue nicht in Bewegung versetzen. Sie können kein goldenes Abbild von mir machen, das dann einhergeht, wie es dir gelungen ist. Sie haben nicht die Macht. Sie haben nicht deine Gaben. Und
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