Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
du? Ich kann Stürme hervorrufen, ich kann manchmal heilen, obwohl das sehr, sehr heikel ist, und ich kann Wünsche erfüllen, weil ich so manches weiß, und weil ich weiß, dass die Dämonen, vor denen sich die Menschen fürchten, nichts anderes sind als die ruhelosen Toten.‹
    ›Ist das wahr?‹, fragte ich. Aber hier muss ich einfügen, dass Dämonen auszutreiben in Babylon ein blühender Geschäfts-zweig war. Das heißt, man konnte ein Vermögen machen, indem man Dämonen vertrieb, aus Häusern, aus erkrankten Menschen und so weiter. Dafür gab es feste Rituale und Ta-lismane; man bezahlte einen Dämonenaustreiber, der einem dann die entsprechenden Anweisungen gab. Aus dem Grund wollte ich natürlich wissen, ob es wirklich keine Dämonen gab.
    Aber er antwortete mir nicht geradeheraus.
    Schließlich hub er an: ›Asrael, die meisten Dämonen sind nur die ruhelosen Seelen der Toten. Doch es gibt auch mächtige Geister, so mächtig wie Götter, und einige von ihnen sind voller Hass und richten mit Vorliebe Schaden an. Aber sie sind kaum je daran interessiert, einem Milchmädchen eine Krankheit anzuhängen oder ein unbedeutendes Haus mit einem Fluch zu belegen. So etwas ist nur der Schabernack, den ruhelose Seelen treiben. Und diese Streiche wollen sie auch nicht unterlassen, denn dadurch lichten sich für sie der Nebel und der Rauch, in dem sie umhertreiben.‹
    Halte dir nur vor Augen, wie herrlich er aussah, als er da vor mir saß, ein so schönes, edles Wesen, überzogen und durchdrungen von Gold! Seine großzügige Haltung, seine Geduld mit mir beeindruckten mich so sehr, dass mein Herz klopfte und ich gleichzeitig zu Tränen gerührt war und überschwänglich lachte, so sehr liebte ich ihn.
    Ich zögerte nicht länger. Ich streckte die Hand aus, und während ich ihn berührte, bat ich gleichzeitig inbrünstig darum, dass er all dieses Goldes ledig werde und er frei wäre, sich wie ein Mensch unter Menschen zu bewegen. Errätst du, was geschah?«
    »Er wurde sichtbar, als sei er real vorhanden«, sagte ich.
    »Genau das, und dadurch erfuhr ich etwas über Geister, das ich später zu meinem Vorteil nutzen konnte und bis vor kurzem auch einsetzte. Ja, es war so. Er wurde sichtbar! Da saß, mir gegenüber an dem Marmortisch, in ein Festgewand gekleidet, ein großartiger Edelmann. Ein Becher Wein stand vor ihm, und er lächelte. Es ging eine Welle der Bewegung durch die Anwesenden, als man auf ihn aufmerksam wurde. Ich glaube nicht, dass jemand bemerkte, wie er sich materialisierte, wie ihr heute sagen würdet. Sie nahmen einfach Notiz von ihm. Weil er wunderschön war.«
    »Wurde denn deutlich, dass er Marduk war?«, fragte ich.
    »Nein, ohne diesen goldenen Überzug hätte er ein König, ein Botschafter sein können. Weißt du, das Standbild war stärker stilisiert, nicht so menschlich. Doch alle Leute sahen ihn.
    Selbst die Musikanten unterbrachen ihr Spiel, bis er sich ihnen zuwandte und ihnen bedeutete fortzufahren. Aber auch sie sahen ihn tatsächlich, denn sie nahmen ihr Spiel wieder auf.

Ich selbst war vor Angst erstarrt. ›Na komm schon, Freund‹, sagte Marduk. ›Ich sehe alles deutlicher denn je, und obwohl dieser Körper gewichtslos und leicht ist, gefällt mir doch seine Form, und er zieht die Blicke auf sich, was mir noch zusätzlich Macht verschafft, so wie es bei der Neujahrsprozession geschieht. Sie sehen mich! Sie wissen nicht, wer ich bin, doch sie sehen mich. Komm mit, mein Freund, wir wollen einen Spaziergang machen, ich möchte mit dir über die Mauerkrone und durch den Tempel gehen, mit dir zusammen möchte ich alles ringsum so deutlich wahrnehmen. Du brauchst mich nicht mit in dein Heim zu nehmen. Deine Verwandten würden sich nur aufregen. Unglücklicherweise kann ich sie mit meinem göttlichen Gehör vernehmen; sie rufen schon die Weisen Ju-däas zusammen und beraten sich deinetwegen, weil du die heidnischen Götter sehen und hören kannst. Komm jetzt mit mir, ich möchte ein wenig spazieren gehen.‹
    Damit stand er auf und legte den Arm um mich, und wir schlenderten aus dem Park. Wir streiften den ganzen Nachmittag umher. Ich fragte ihn: ›Was passiert, wenn du nicht zurück in den Tempel gehst zu deinem morgendlichen Schmaus ?‹
    ›Dummkopf‹, antwortete er lachend. ›Das weißt du doch ganz genau. Ich sauge doch nur den Duft der Speisen ein. Ich esse sie nicht. Man wird sie vor der Statue niederlegen und anschließend wieder fortnehmen und den Angehörigen des Tempels

Weitere Kostenlose Bücher