Engel der Verdammten
riesiges Feuer. Ich glaubte meines Vaters Stimme zu hören, doch ich war mir nicht sicher, und dann hörte ich Asenath sprechen:
›Es ist ein ungeheuer machtvoller Zauber! Willst du denn, dass er stirbt? Gib sie mir!‹
Für eine kurze Sekunde sah ich meinen Vater, in großer Verwirrung reichte er ihr die uralte Tontafel in deren irdener Hülle.
›Asrael!‹, rief er aus und versuchte, an ihr vorbei nach mir zu greifen.
Ich wollte etwas sagen, war jedoch nicht mehr in der Lage dazu. Ich war zu gar nichts mehr imstande.
Die Türen flogen meinem Vater vor der Nase zu, und die Welt war mit einem Schlag ausgeschlossen. Wir befanden uns in einem Gewölbe, in dem ein infernalisches Feuer loderte; in einem randvollen Kessel brodelte Gold, und die Luft war erstickend heiß. Und dann zerbrach Asenath die irdene Umhüllung der Tafel, zerschmetterte den Ton wie nichts und hielt die geheimnisvolle Tafel ins Licht einer Fackel.
Ich stand ohne Hilfe, zu starr, um mich überhaupt zu bewegen, und zu starr, um noch umzufallen, und blickte sie unverwandt an. Nicht einmal mehr das Feuer machte mir Angst. Was hatten sie nur vor, Remath und die Alte? Wo war der Hohepriester? Hatte ich nicht hier und da einen Blick auf ihn erhascht?
Und dann begann Asenath vorzulesen, doch dies war nicht Sumerisch, es war Hebräisch, ganz, ganz altes kanaanitisch gefärbtes Hebräisch:
› ... und dass er sehe seinen eigenen Tod, dass er sehe seine Seele, sein tzelem, und dass sein Geist und sein Fleisch sich aufbrodelnd zusammenfüge in seinen Gebeinen, auf dass sie fortleben darin auf ewig, heraufbeschworen nur durch den Meister, der seinen Namen kennt und ihn bei seinem Namen ruft ...‹
›Nein!‹, schrie ich. ›Das ist kein Zauberspruch! Es ist Hebrä-
isch. Es ist ein Fluch! Du lügnerische Hexe!‹
Der goldene Überzug auf meinem Körper zersprang, als ich sie mit aller mir in meinem Dämmerzustand noch verbliebenen Kraft ansprang, doch sie wich mit einem tänzelnden Schritt zurück, und dann packte mich Remath an der Kehle. Ich war betäubt und schwach wie zuvor die Löwen, die gegen mich angerannt waren.
›Du Hexe, das ist ein Fluch‹, keuchte ich.
›Auf dass er sehe alles, was an ihm sichtbar und unsichtbar ist, und dass alles, was fest und was flüssig an seinem Körper ist, in diesen Knochen verkoche, auf dass er gebunden sei an die Gebeine und an den Herrn über die Gebeine; und möge er weder hinabtauchen in die Finsternis Sheols, noch möge er je das ewige Leben mit Gott schauen.‹
›Marduk!‹, kreischte ich.
Ich spürte, wie ich nach hinten gedrückt und in das brodelnde Gold gestoßen wurde. Ich schrie und schrie. Das war undenkbar. Unmöglich konnte man solche Qualen spüren! Es war unmöglich, dass mir so etwas widerfahren konnte, dass kochendes Gold mich ersticken und in meine Augen dringen konnte!
Und als ich glaubte, schlichtweg verrückt zu werden, verrückt vor Entsetzen und Qual, und kein menschlicher Gedanke mehr blieb, da schoss ich aufwärts, heraus aus dem Kessel, und schwebte frei über dem Körper, der wie eine Lumpenpup-pe in dem kochenden Brei schwamm, ein weit offenes Auge starrte aus dem siedenden Gold. Der Körper, der mir gehört hatte! Und ich steckte nicht mehr darin.
Ich war dort oben, schwebte mit ausgebreiteten Armen und starrte nach unten. Und ich sah Asenaths mir zugekehrtes Gesicht.
›Ja, Asrael‹, gellte sie, ›sieh nur hin, sieh, wie das Gold kocht, sieh, wie sich das Fleisch von deinen Knochen löst, sieh, wie deine Knochen zu Gold werden, wende deine Augen nicht ab davon, sonst wirst du zurückgesaugt werden hinein in die Todesqual und das Sterben.‹
›Marduk‹, rief ich abermals.
›Du hast die Wahl‹, sagte er. ›Schicke deine Seele zurück in diesen Kessel der Qualen, und du stirbst.‹ Seine Stimme klang gebrochen oder vielleicht eher trauervoll. Ich sah, dass er dort unter mir stand und zu mir heraufsah.
Und zum ersten Mal erschien er mir klein und unerhaben.
Nicht großartig und göttlich. Und Asenath war nur eine dumme alte Frau. Und Remath, der seine Augen nicht von dem dort in dem brodelnden Kessel versinkenden Körper lösen konnte, sprang auf und nieder, mit geballten Fäusten, fluchend und kreischend.
Es blieb mir keine Zeit. Es gab nichts zu entscheiden. Vielleicht war ich schlicht und ergreifend zu feige. Auf jeden Fall brachte ich es nicht fertig, wieder zurückzukehren in diesen Körper, in diesen Schmerz, um mich lebendigen Leibes zerko-chen zu
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