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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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um; wie verwischt nahm ich eine Woge winkender Arme wahr und sah hoch in die Luft auffliegende Girlanden und niederfallende Blüten, doch hörte ich deutlich die Stimme meines Vaters:

    Dir voran will ich schreiten und den unebenen Pfad glätten ...
    Und die Schätze der Finsternis will ich dir geben, und geheimster Orte verborgene Reichtümer, auf dass du wissest, dass ich bin der Herr, der Gott Israels, der dich bei deinem Namen nennet.

    So sangen sie fort und fort, der Klang folgte uns durch die To-re des Tempels. Und dann erklangen Rufe: ›Messias, Messias, Messias!‹ Und Kyros winkte und warf Kusshände in die Menge, und schließlich war der Augenblick der Krönung gekommen.

    Man hob uns von dem Gefährt, und auf einem Bett aus Blüten stiegen wir die endlos scheinenden Stufen des großen Etemenanki empor, sodass selbst die Menschen aus der Ferne uns durch die weit geöffneten Tore hindurch noch sehen konnten.
    Ich glaubte, ich müsse sterben, ehe ich die Spitze erreicht hatte; ich konnte den Kopf nicht heben, schaute nur auf die goldenen Stufen direkt vor mir. Jakobs Traum fiel mir ein, in dem er die Himmelsleiter mit all den auf- und niedersteigenden Engeln gesehen hatte.
    Endlich standen wir auf dem Gipfel, oben auf dieser Höhe, die von dem Gott und für den Gott gemacht worden war, und man reichte mir die Krone. Inzwischen schien es mir, als hätte ich keine Kontrolle mehr über meine Glieder. Ich spürte nichts mehr. Ich lächelte, weil das am mühelosesten war, und meine Arme schmerzten plötzlich vor Müdigkeit, als ich die schwere Krone des persischen Reiches in die Höhe hob und dem Kö-
    nig aufs Haupt setzte.
    ›Nun lasst mich sterben‹, flüsterte ich. Erschöpfung durchflutete mich. In meinen Knien tobte qualvoller Schmerz und auch in meinen Füßen, in meinem ganzen Körper, den ich nicht länger frei bewegen oder aufrecht halten konnte.
    Deutlich sah ich Kyros' Augen, sah die Liebe, die sich darin spiegelte, und sah den tiefen Ernst in seinem Gesicht, ich sah darin ... die Bestimmung, König zu sein. Vielleicht sah ich auch ein ganz klein wenig den Wahnsinn der Könige hervorlugen.
    Verstohlen und geschickt schoben sich Priester an mich heran und strichen frisches Gold auf meinen Körper, damit ich meine Glieder bewegen könne, und ein wenig Leben kehrte in mich zurück. ›Halte deine Augen geöffnet‹, sagte Remath immer wieder. ›Halte sie geöffnet.‹
    Ich gehorchte. Man führte uns hinab in den Palasthof. Das Bankett dauerte Stunde um Stunde. Ich erinnere mich, dass Dichter kamen und sangen, ich weiß, dass der König mit all seinen Edelleuten speiste. Doch ich saß stumm und steif da und starrte ins Leere. Ich konnte meine Augen nicht mehr schließen, sosehr ich es auch versuchte. Die Dummköpfe hatten nicht bedacht, dass jede weitere Schicht Gold die Lider nur für den Augenblick beweglich machte, überlegte ich im Stillen.

    Ich schaute nieder auf meine Hände, die vor mir auf dem Tisch lagen, und dabei dachte ich: ›Marduk, ich habe nicht ein einziges Mal nach dir gerufen.‹
    Seine Stimme klang in meinen Ohren. ›Du hast mich nicht gebraucht, Asrael. Aber ich bin hier bei dir.‹
    Endlich war ein Ende abzusehen. Die Dunkelheit war herein-gebrochen. Das Fest war vorbei. Der König war gekrönt.
    Babylon gehörte zu Persien. Die Stadt jenseits der Palast- und Tempeltore lag hingestreckt in Trunkenheit, und innerhalb dieser Mauern hier tranken und sangen immer noch viele.
    ›Nun‹, sagte der junge Priester, ›werden wir dich in dein Heiligtum tragen. Du brauchst keinen Schritt mehr zu tun. Du brauchst dich nur noch dort an deine Festtafel zu setzen, und wenn du nicht innerhalb der nächsten paar Stunden stirbst, werden wir deinen Mund mit Gold ausgießen.‹
    ›Es ist noch nicht ganz vollbracht‹, sagte Remath. ›Folge mir jetzt, schnell, denn wir müssen noch ein weiteres Ritual durchführen, und das muss auf die richtige Art geschehen.‹
    Der junge Priester wirkte ein wenig verwirrt. Ich auch, doch es war mir egal. Es war mir verdammt egal. Ich schlummerte schon fast, und ich war erfreut, um mich herum die undeutlichen Umrisse der Toten auftauchen zu sehen, die mich voller Furcht betrachteten. Ich hatte mir eher vorgestellt, sie würden sich wie eine wilde Heerschar auf mich stürzen und mich aus meinen goldenen Gewändern zerren und sagen: ›Komm und wanke mit uns durch die Ewigkeit!‹ Aber so war es nicht.
    Und dann spürte ich unerträgliche Hitze. Ich sah ein

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