Engel der Verdammten
Sie werden sich, wie man es sie gelehrt hat, auf die Hinterbeine erheben und den Honig von deinen Lippen lecken - eine Mischung aus Honig und Blut, die ich dir nun auftrage -, und in diesem Augenblick wirst du ihnen dein Schwert in den Körper bohren.‹
Ich lachte. ›Und ihr, wo seid ihr dann?‹, fragte ich.
›Direkt hier, neben dir‹, gab der junge Priester zurück. ›Das ist eine Kleinigkeit für dich, du mein Gott Marduk, diese Löwen wollen für dich sterben.‹
Er hob einen Becher an meine Lippen.
›Trinke das, Honig und Blut‹, sagte er.
Das tat ich, wobei ich kaum mein eigenes Schlucken spürte.
Mit einem Mal fiel mir auf, dass fast jedes Gefühl aus meinem Körper gewichen war, meine Haut fühlte sich taub an, wie einem bitterkalten nächtlichen Wüstenwind ausgesetzt. Doch ich schluckte, und er gab mir noch mehr, bis meine Zunge und meine Lippen von Blut und Honig troffen.
Wahnsinnige Erregung wallte in der Menge auf. Ich bemerkte ihre Furcht. Der erste Löwe war freigelassen worden und nä-
herte sich mir. Mir schien, die Perser wichen zurück, bis sie die Mauer aufhielt. Ich konnte ihre Furcht fühlen, riechen. Und ich lachte erneut auf: ›Das ist so komisch! Ich bin halb tot, und dieser Löwe stolpert auf mich zu.‹
Plötzlich sprang der Löwe, und die beiden Priester mussten mich stützen, damit ich von seinem Gewicht nicht umgeworfen wurde. Ich hob das Schwert. Ich flehte, dass die goldene Glasur mir einen festen Stand geben möge, und stieß dem Löwen das Schwert ins Herz. Sein stinkender Atem drang mir in die Nase, seine Zunge berührte meine Lippen, und dann sank er ungelenk nieder, tot, und die Menge sang ohne Unterlass, sang Hymnen, die allesamt von großem Mut handelten.
Nun trat der König an meine Seite, auch er mit einem Schwert bewaffnet, und als der zweite und dritte Löwe herausgelassen wurde, merkte ich, dass wir sie gemeinsam töten sollten. Das Antlitz des Königs war so starr wie meines, und er kniff die Augen zusammen, während er die Bestien betrachtete. ›Die scheinen mir noch ganz schön lebendig zu sein‹, murmelte er.
›Oh, aber du bist ein König, und ich bin ein Gott, also töten wir sie doch einfach.‹
Der Priester, der hinter den Löwen stand, ließ die Peitsche knallen, und eines der Raubtiere sprang Kyros an, der ihm, rückwärts taumelnd, das Schwert in den Leib jagte und es mit dem Fuß von sich stieß. Der Löwe fiel brüllend auf den Rük-ken und starb. Die zweite Bestie erhob sich vor meinem Gesicht auf die Hinterbeine. Ich spürte, dass der Priester mein Handgelenk anhob. ›Stoß zu!‹ Ich gehorchte. Ich stach mehr als einmal zu, tödlich, ich wollte die Bestie loswerden.
Und abermals sangen und jubelten alle, und selbst von den Menschen draußen vor den Toren drang Jubel an mein Ohr.
Ich sah, wie man die Löwen aufhob und forttrug. Ich hörte den Priester singen, die Hymne von Marduk, der die böse Tiamat erschlägt.
›Und aus ihrer Haut machte er den Himmel und die Erde und die Meere ...‹, tönten die Worte in dem alten Sumerisch, wurden in der akkadischen Sprache aufgenommen, und schließ-
lich in Hebräisch, die Worte überlappten sich wie Wellen aus Klang, und ich schwamm darauf wie auf einer Woge.
Ich stand nun allein im Hof. Die Priester bestrichen mich abermals mit dem Blut-Honig-Gemisch. ›Sie können dir nichts anhaben‹, sagte Remath.
›Wer?‹, fragte ich. Doch ich wusste es schon. Ich hörte sie ebenso deutlich, wie ich vorher die Bestien gehört hatte. Bienen! Und ich wusste auch, woher dieses Geräusch kam. Denn nun bewegte sich ein großer, aus Seide gefertigter Drache auf mich zu, in den man dicht an dicht sperrig vorstehende goldene Rippen eingenäht hatte. In seinem Inneren summten die Bienen. Männer bewegten den Drachen an Stäben; sie wanden sich mit dieser Form um mich herum, sodass selbst sein Schwanz noch meinen Kopf bedeckte und ich wie in einem seidenen Zelt gefangen war. Ich hörte, wie der Stoff riss. Man ließ die Bienen frei, die sich sofort auf mich stürzten und meinen ganzen Körper bedeckten. Widerwillen erfüllte mich, doch meine Füße verharrten auf der Stelle wie angewurzelt. Und tatsächlich konnten die Stacheln der Tierchen meinen goldenen Überzug nicht durchdringen, und als sie sich meinem Gesicht näherten, schloss ich einfach die Augen. Nach und nach wurde mir klar, dass die Bienen starben, entweder durch ihre eigenen Stiche oder von dem Gift, das dem Gold beigemischt war. Ich seufzte
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