Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
lassen. Ich konnte es nicht ertragen, dass das überhaupt einem menschlichen Wesen zustoßen sollte. Ich schaute und schaute, und das Fleisch schwamm nun lose in dem goldenen Brei, auf dessen Oberfläche der Schädel trieb, und der Kessel hörte nicht auf zu brodeln, und der Raum füllte sich mit dichten, undurchdringlichen Schwaden.
    Asenath hustete erstickt. Sie bekam keine Luft mehr und fiel vornüber aufs Gesicht. Remath starrte immer noch in den Kessel. Und Marduk schaute einfach nur verwundert zu mir auf.
    Bis endlich der Inhalt des Topfes verkocht war, abgesehen von den Überresten meines Körpers. Remath trat mit dem Fuß in das Feuer und stieß es auseinander, damit es verlösche. So nah es eben ging, wagte er sich an den glühenden Topf heran und betrachtete den Haufen goldener Knochen auf dessen Grund. Die Stoffe waren fort, verkocht wie das Fleisch und die Flüssigkeit. Übrig geblieben waren nur die Knochen, und darin wie versiegelt in einer Kammer alle Dämpfe und Teilchen von dem, was meinen Körper einmal ausgemacht hatte. Und diese Knochen waren ganz golden.
    ›Beschwöre es, Geist‹, sagte Remath, ›beschwöre dein Fleisch, rufe es herbei aus der Welt des Irdischen, aus dem Innersten dieser Gebeine und aus der Luft, wohin es zu fliehen versucht hat, rufe es.‹
    Ich bewegte mich auf den Boden zu und stand auf meinen Füßen. Durch die dicken, quälenden Schwaden hindurch sah ich, dass ich einen Körper hatte. Er war nur wie Luft, doch er gehörte mir, und nun wurde er dichter, massiver.
    Marduk trat einen Schritt zurück, wobei er den Kopf schüttelte.
    ›Was ist los? Warum machst du das?‹, fragte ich.
    ›Oh, bei den alten Göttern, Remath‹, sagte Marduk, ›was habt ihr beide, du und diese Hexe, da angestellt?‹
    Remath brüllte: ›Du bist mein, Hüter der Gebeine, denn ich bin der Gebieter der Gebeine! Du wirst mir gehorchen! Du wirst gehorchen!‹
    Marduk drückte sich an die Wand und starrte mich an, sichtlich voller Angst.
    Remath zerrte ein dickes Bündel Stoff von dem Ruhebett, um seine Hände vor der Hitze zu schützen, und schaffte es damit, den Kessel umzustoßen. Knochen fielen heraus, und die, die darin zurückblieben, fischte er ungeachtet der höllischen Tem-peraturen heraus, bis alle Knochen am Boden lagen.

    ›Wach auf, altes Weib!‹, kreischte er. ›Wach auf! Was muss ich jetzt tun?‹
    Ich stellte mich neben ihn. Mein Körper hatte eine Dichte erreicht, als sei er noch lebendig. Er war rosig und beweglich wie mein wirklicher Körper, und doch war er nicht echt. Er fühl-te sich auch nicht echt an. Er hatte kein Herz, keine Lunge, keine Seele und kein Blut, er hatte nur die Form, die mein Geist ihm verlieh, bis ins letzte Detail.
    ›Hör zu, Dummkopf‹, sagte ich, ›Asenath ist tot. Wenn du wissen willst, was nun zu tun ist, gib mir besser diese Tontafel.
    Ich bin der Einzige hier, der das alte Kanaanitisch lesen kann.‹«

    7

    »Remath rührte sich nicht, dazu hatte er viel zu viel Angst. Er ließ sogar die Knochen fallen. Schimmernd lagen sie auf dem gefliesten Boden verstreut, ein schrecklicher Anblick. Zähne waren darunter und, wie Kiesel, die winzigen Knochen meiner Hände und Füße.
    Marduk verhielt sich ganz ruhig.
    Um uns herum entstand ein dumpfer, heulender Ton. Er klang für mich wie ein Windstoß, der, nach und nach durch alle Flure und Hallen vorwärts drängend, Palast und Tempel einnahm, und als ich den Blick hob, sah ich die Welt der Geister in einer Weise konzentriert, wie sie mir nie zuvor erschienen war.
    Fort waren Wände und Decken dieses Gewölbes. Die ganze Welt bestand nunmehr aus verlorenen, murmelnden Seelen; und auch sie waren in Angst begriffen, gafften sie doch, deuteten auf mich und sprangen mich an mit klauengleichen Händen.
    ›Hinweg mit euch!‹, brüllte ich. Und sofort verschwand der ganze Schwarm, nur das Geheul schnitt mir noch schmerzend in die Ohren, und als ich nun abermals Marduk ansah, schien mir sein Antlitz fremd, zwar zeigte es keine Furcht mehr, doch auch keine Freundlichkeit, kein Vertrauen, wie ich es zuvor immer gesehen hatte.
    Ich drehte mich um, ging mit leichtem, sicherem Schritt, wie ein Mensch gehen würde, zu dem am Boden liegenden Körper Asenaths und nahm mir die Tontafel. Der Text war nicht einfach für mich. Es war eine Art Hebräisch, ja, aber ein Dialekt, wie man ihn weit vor meiner Zeit gekannt hatte. Ich las leise für mich selbst.
    Ich schaute mich um. Der Priester hatte sich in die entfernte-ste

Weitere Kostenlose Bücher