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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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kleine Silbermünzen auf dem Tisch liegen. Die gab ich dem Jungen, und er ging fort.
    Als ich nun Zurvan wieder ansah, hatte er sich auf die Ellbogen gestützt und betrachtete mich eingehend. ›Ich glaube, ich verstehe jetzt‹, sagte er.
    ›Was verstehst du jetzt?‹, fragte ich.
    ›Du bist nicht dazu geboren und nicht dazu bestimmt, jemandem zu gehorchen. Dieses ganze kanaanitische Ritual, das auf der Tontafel vermerkt ist ...‹
    ›Musst du diese widerwärtige Tontafel erwähnen?‹
    ›Still! Gab es eigentlich in deinem ganzen Leben keine Re-spektsperson, keine Lehrer, keinen Vater, keinen König? Hör auf, mich zu unterbrechen. Und hör mir zu! Bei den Göttern, Asrael, erkenne doch, dass du nicht mehr sterben kannst! Und ich kann dich lehren, was für dich in dieser Situation hilfreich ist! Sei also nicht impertinent, und lass nicht ständig deine Gedanken abschweifen. Nun! Hör zu!‹
    Ich nickte. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen.
    Ich schämte mich, dass ich ihn verärgert hatte. Aus meiner Kleidung zog ich ein seidenes Tuch und tupfte mir die Augen, in denen wohl tatsächlich Wasser stand.
    ›Ah, so ist das also. Dass ich verärgert war, lässt dich gehorchen.‹
    ›Könnte ich dich verlassen, wenn ich wollte?‹
    Wahrscheinlich schon, doch das wäre sehr dumm von dir! Nun gib Obacht. Was sagte ich noch, ehe du zu dem Schluss kamst, dass ich einen Schluck Wein brauche?‹
    ›Du sagtest, jeder Magier erkläre die Geisterwelt auf seine Art anders, jeder gebe den Geistern eine andere Bezeichnung und andere Merkmale.‹
    Diese Antwort schien ihn in absolutes Erstaunen zu versetzen, wenn ich auch nicht genau wusste, warum. Doch er schien sie durchaus akzeptabel zu finden.
    ›Ja, genau. Nun tu, was ich dir sage. Schau dich um. Betrachte die Schenke und den Marktplatz, schau hinaus ins helle Tageslicht. Und betrachte die Geister! Sprich nicht zu ihnen, beachte keine ihrer Gesten. Nimm möglichst alles in dich auf.

    Durchforsche die Luft, als forschtest du nach winzigen, kostbaren, verlockenden Dingen, doch bewege deine Lippen nicht.‹
    Ich tat, was er sagte. Ich erwartete eigentlich, die kleinen, lä-
    stigen Dämonen zu sehen, die auch sein Haus heimsuchten.
    Doch ich sah vor allem die ziellosen, verwirrten toten Seelen.
    Ihre Schatten oder Astralkörper huschten durch die Schenke, hingen zusammengesunken über den Tischen, versuchten, zu den Lebenden zu sprechen, oder wanderten umher, als suchten sie etwas ...
    ›Nun richte deinen Blick über diese erdgebundenen, gerade Verstorbenen hinaus und betrachte die älteren, die schon längere Zeit Geister sind und eine gewisse Lebenskraft erworben haben‹, erklärte Zurvan.
    Auch das tat ich und sah abermals diese großen Wesen mit dem starren Blick, die gänzlich durchscheinend, doch von menschlicher Gestalt waren, mit deutlich erkennbarem Mie-nenspiel; und ich fand nicht nur diese, die auf mich deuteten und mich ansahen und gestikulierten, sondern noch Scharen weiterer Geister, die die agora dicht gedrängt bevölkerten. Ich schaute zum Himmel auf und sah weitere herrliche, strahlende Geistererscheinungen, sodass ich einen kleinen Schrei ausstieß. Diese strahlenden Geisterwesen zeigten nicht die gewohnte Verstörtheit, schienen auch nicht wütend oder in sinnloser Suche befangen, sondern schienen eher eine Art Hüter der Lebenden zu sein, wie Götter oder Engel. So weit meine Augen reichten, erblickte ich diese Wesen. Sie kamen und gingen mit flinken Bewegungen. Tatsächlich befand sich die gesamte Geisterwelt in ständiger Bewegung, und man konnte die Geister anhand ihrer Beweglichkeit einordnen, denn die schattenhaften Seelen der gerade Verstorbenen waren plump und schwerfällig; die, die schon länger Geister waren, bewegten sich langsam, menschenähnlicher; und diese engelhaften, diese frohlockenden Geister huschten mit einer Geschwindigkeit umher, der das menschliche Auge nicht folgen konnte.
    Ich muss wohl fortwährend Laute des Wohlgefallens ausgestoßen haben. Ich war hingerissen von der Schönheit einiger dieser ätherischen Wesen, die sich bis zur Sonne selbst auf-schwangen, doch dann wiederum näherte sich mir die zu-sammengekrümmte Schattengestalt eines Toten, gierig und verzweifelt, und ich zog eine Grimasse und schreckte zurück.
    Eine Gruppe von Geistern hatte mich bemerkt und lenkte nun die Aufmerksamkeit anderer auf mich. Dies waren die Wesen, die zwischen den Verstorbenen und den Engeln angesiedelt waren, doch noch

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