Engel der Verdammten
gefallen: Babylon als das Tor der Götter.‹
›Jede Stadt‹, sagte Zurvan verächtlich, ›ist das Tor für irgendeinen Gott.‹
›Wie erklärst du diese erhabenen Geister, die ich gesehen habe, die, die so glückselig waren? Sie eilten so geschäftig hin und her, dabei waren sie in der Lage, die Gestalten der Geister mittlerer Ordnung zu durchdringen - die wiederum für die Geister der Gestorbenen nicht sichtbar waren.‹
›Ich sagte es dir schon, jeder Magier wird dir eine andere Er-klärung geben; einen tieferen Einblick, als du ihn hattest, kann man jedoch nicht bekommen, und du sahst eine ganze Menge. Im Laufe der Zeit wirst du noch mehr erkennen können; aber immerhin hast du auch deine eigenen Fähigkeiten kennen gelernt und sahst, dass die Geister sie respektierten, du sahst, dass die Geister der mittleren Ebene, wie du sie nennst, dir nichts anhaben konnten. Und die Geister, die wie Dämonen sein wollen, sind sowieso Dummköpfe, die man durch eine Fratze verscheuchen kann. Du hast es gesehen.‹
›Aber, mein Gebieter, was genau ist es denn?‹
›Ich habe es dir gestern gesagt, wir wissen nicht mehr dar-
über, und erdgebunden, wie wir sind, können wir auch nicht mehr wissen: Die glückseligen Geister steigen in erhabene Höhen auf, die der mittleren Ordnung erlangen tiefere Einsichten, die fahlen, vergrämten Seelen der Toten entwickeln sich hin zu denen der mittleren Ebene. Und die Dämonen? Wer weiß das? Waren sie einst alle Menschen? Nein, das glaube ich nicht. Können sie Menschen in Besitz nehmen und ihnen die Sinne verwirren? Das sicherlich. Doch du, der Hüter der Gebeine, kannst sie in all ihrer Schwäche wahrnehmen, und du wirst sie nie fürchten müssen, denke immer daran. Wenn sie sich dir in den Weg stellen, stoße sie einfach beiseite.
Wenn sie einen unter deinem Schutz stehenden Menschen in Besitz nehmen, in seinen Körper eindringen wollen, um ihn nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, dann benutze deine überirdischen Hände, pack dir den unsichtbaren Körper der Ein-dringlinge, und du wirst feststellen, dass du sie von ihrem irdischen Wirt losreißen kannst.‹
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. ›Ich brauche Ruhe, die Reise war anstrengend für mich. Ich bin nur ein Mensch. Nun geh und schau dich in der Stadt um. Hülle dich in deinen menschlichen Körper, geh umher wie ein Mensch, und betrachte alles wie mit menschlichen Augen. Geh besser nicht durch Türen oder Wände, du könntest jemanden erschrecken; und greift dich ein Geisterwesen an, nimm deinen Zorn und deine Faust zu Hilfe, und schleudere es in hohem Bogen von dir. Wenn du mich brauchst, rufe nach mir. Aber nun geh erst einmal und sieh dich um.‹
Entzückt von dem Vorhaben stand ich auf und ging zur Tür.
Seine Stimme hielt mich zurück.
›Mir ist noch kein Geist zu Gesicht gekommen, der deine Fä-
higkeiten hatte‹, sagte er. ›Schau dich an in deinem herrlichen blauen und goldenen Gewand und dem glänzenden Haar, das dir auf die Schultern fällt. Schau dich an. Sichtbar oder unsichtbar zu sein, greifbar oder eine Illusion, alles ist dir möglich. Du könntest ein perfektes Instrument des Bösen sein.‹
›Aber das will ich nicht!‹, sagte ich.
›Das präge dir für alle Zeiten ein, das vor allen anderen Dingen. Bei deiner Entstehung waren stümperhafte Idioten am Werk. Und als Ergebnis dessen bist du stärker, als je ein Magier es gewollt haben könnte, und du besitzt, was auch Menschen besitzen ...‹
Ich begann zu weinen. Es war dieses gleiche unkontrollierbare, plötzliche Weinen, das mich schon vorher überkommen hatte. ›Eine Seele?‹, fragte ich. ›Habe ich eine Seele?‹
›Darauf weiß ich die Antwort nicht‹, gab er zurück. ›Ich meinte etwas anderes. Ich meinte, du hast einen freien Willen.‹
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. ›Bringe mir etwas mit, etwas, das niemanden kränkt.‹
›Blumen‹, sagte ich, ›einen herrlichen Strauß Blumen; ich werde sie hier und da, von Mauern und Zäunen pflücken.‹
Er lachte. ›Ja, und was die Sterblichen betrifft, sei sanft! Krän-ke sie nicht. Sei duldsam und gütig.‹
›Ja, das verspreche ich‹, antwortete ich.
Und dann machte ich mich auf, die Stadt zu erkunden.«
11
»Was mich Zurvan während der nächsten fünfzehn Jahre lehrte, war nichts anderes als die Weiterentwicklung und Vertie-fung der Grundsätze, die er mir in unseren ersten drei gemeinsamen Tagen nahe brachte. Dass ich mich nun seit vielen
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