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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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durch die du zum Geist wurdest. Du hast mich nicht einmal gebeten, sie dir vorzulesen oder sie selbst lesen zu dürfen, und du kannst doch offensichtlich lesen.‹
    ›Ich kann viele Sprachen lesen‹, sagte ich. ›Aber ich will sie nicht sehen. Niemals.‹
    ›Ah, ich verstehe. Komm in meine Arme, küsse mich, ja, so, auf die Lippen, wie die Perser es tun, und nach griechischer Art auf die Wangen, und nun geh, verlass mich, bis ich dich wieder hervorrufe.‹
    Die Wärme seines Körpers tat mir unendlich wohl, und ich rieb meine Stirn gegen seine Wange und dann, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, wünschte ich mich in die Gebeine, in die Dunkelheit. Ich fühlte mich beinahe glücklich.«

    10

    »Ich sagte es ja schon, dieses Kapitel meiner Geschichte, das sich speziell mit zweien meiner Gebieter beschäftigt, wird sehr kurz sein.
    Aber auf Zurvan muss ich einfach näher eingehen, auf seine Lehren und auf seine Persönlichkeit. Die Gebieter, die nach Zurvan kamen, ob ich mich nun speziell an sie erinnern kann oder nicht, hatten einfach nicht seine kraftvolle Persönlichkeit, davon bin ich überzeugt. Was jedoch noch charakteristischer war, sie waren nicht besonders interessiert daran, zu lernen und zu lehren; aber sowohl sein leidenschaftlicher Wille, mich zu unterrichten, als auch sein Mangel an Furcht vor mir, vor meiner Unabhängigkeit, beeinflussten gleichermaßen meine spätere Existenz, selbst noch während der Perioden, in denen ich nicht die geringste Erinnerung an ihn selbst hatte - nicht einmal an seine scharfen blauen Augen und seinen weißen, zerzausten Bart.
    Mit anderen Worten, ich trug Zurvans Lehren für immer in meinem Herzen, selbst in den düstersten Zeiten.
    Dank Kyros war Zurvan reich, er hatte alles, was er wollte; und genau wie er mir gesagt hatte, waren Manuskripte seine höchsten Güter. Er schickte mich aus, um die Verstecke der verschiedensten Manuskripte ausfindig zu machen, sie manchmal auch ganz offen zu stehlen, oder auch nur, um Informationen zu erlangen, die ihm erlaubten, einen guten Handel zu machen. Seine Bibliothek war riesig und sein Wissensdurst uner-sättlich.
    Doch als ich mich an meinem ersten Tag bei ihm erhob, lehrte er mich wesentlich Interessanteres als nur, ihm für seine Unternehmungen zur Verfügung zu stehen.
    Dieses erste Erwachen in seinem Haus war eine ziemlich irri-tierende Erfahrung für mich. Ich fand mich in meiner schönsten Kopie einer menschlichen Gestalt, gekleidet in meine babylonische Tracht mit den langen Ärmeln, mitten im Studierzimmer wieder. Die Sonne ging gerade auf und ließ den Marmorboden erstrahlen. Das betrachtete ich einige Zeit, und erst nach einer Weile wurde ich meiner selbst bewusst, wurde mir klar, dass ich Asrael war, dass ich aus einem bestimmten Grunde hier war, und dass ich tot war.
    Ich wanderte durch das Haus und suchte nach lebenden Wesen. Ich öffnete eine Tür, die in einen mit Bildern geschmückten Schlafraum führte; doch Staunen machte mich nicht die Schönheit der Wandmalereien oder Bogenfenster, die zum Garten hin lagen, sondern, dass eine Horde schemenhaft sichtbarer Wesen vor mir floh; sie kreischten und hüpften auf und nieder und sammelten sich um Zurvan, der auf dem Bett lag wie in tiefem Schlaf.
    Man konnte diese Wesen nicht auf Anhieb erkennen, man sah sie einmal als bloßen Umriss, dann wieder als Lichtblitz, oder sie zeigten sich, in den höchsten Tönen kreischend, als zähnefletschende Gesichter, sodass es schwierig war, eine einzelne Gestalt zu erkennen oder einen genauen Eindruck von ihrem Umriss zu bekommen. Sie waren menschenähnlich, aber kleiner, schwächlich und benahmen sich wie überdrehte Kinder.
    Schließlich hatten sie sich alle um das Bett gedrängt, offensichtlich um Zurvan zu schützen oder auch, um seinen Schutz zu suchen. Zurvan öffnete die Augen. Er betrachtete mich längere Zeit, dann richtete er sich sichtlich erregt auf und starrte mich an, als traue er seinen Augen nicht.
    ›Herr, sicherlich erinnerst du dich daran, dass ich gestern zu dir kam. Du sagtest mir, du würdest mich heute Morgen aus meiner Ruhe wecken.‹
    Er nickte. Indem er die Arme ruckartig ausbreitete, bannte er die anderen Geister und befreite das Zimmer - einen hübschen griechischen Schlafraum mit bewunderungswürdigen Wandmalereien - von dieser ungehobelten Horde. Ich stellte mich ans Fußende des Bettes.
    ›Habe ich etwas falsch gemacht?‹
    ›Du hast mich im Schlaf nach dir rufen hören, und du bist gekommen,

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