Engel der Vergessenen
sie antwortete leise: »Chandra – vergiß es nicht …!«
Das Wiederauftauchen Dr. Hallers vollzog sich nach einem perfekten Plan, den Major Donyan ausgearbeitet hatte. Haller und Siri wurden weitergereicht wie wichtige Staatsgäste. Überall, wo sie landeten, wartete schon die neue Maschine für die nächste Station. Sie brauchten nur umzusteigen.
Major Donyan verfolgte ihren Weg per Funkspruch und ließ auf der letzten Station, in Pakokku, ausrichten: »Von jetzt ab liegt das Glück allein in Ihrer Hand. Ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Machen Sie das Beste daraus!«
Und Haller ließ antworten: »Wenn es mir gelingt, nach Nongkai zurückzukehren, weiß ich, daß ich auf der Welt nur einen wirklichen Freund habe. Donyan, passen Sie auf sich auf!«
In Pakokku stiegen sie in die große Transportmaschine der birmesischen Luftwaffe und landeten abends in Rangun. Ein Offizier brachte sie durch das abgesperrte Flugplatzgelände hinaus vor das bewachte Tor, grüßte stumm und ließ Haller und Siri dann stehen.
Über der Millionenstadt flammten die Lichter auf. Die grellen Lichtreklamen färbten bereits den sich verdunkelnden Himmel. Hier draußen, vor dem Militärflugplatz, war es still. Ein paar Scheinwerfer erhellten den Eingang. Bogenlampen beleuchteten mit müdem Licht den Drahtzaun, der sich in der schnell einbrechenden Dunkelheit verlor. Niemand kümmerte sich um Haller und Siri. Vor ihnen wartete ihr neues Leben mit einer Feindseligkeit, die sie ein paar Minuten stumm sein ließ.
»Komm«, sagte Dr. Haller endlich und faßte nach Siris Hand.
»Wohin, Chandra?«
»Den Lichtern entgegen. In die Stadt.«
»Und dann?«
»Wir mieten uns ein Hotelzimmer und verschieben das neue Leben auf morgen früh. Man soll mit der Morgensonne anfangen.« Er blieb nach ein paar Schritten stehen und ließ Siris Hand los. »Wieviel Geld haben wir eigentlich?«
»Sie haben uns 400 Kyat mitgegeben.«
»Das ist mies! Wir werden uns in einer Spelunke einmieten müssen. Und wir müssen sofort Geld verdienen.«
»Wie, Chandra?«
»Mit diesen Händen!« Haller hielt seine Finger gegen das Mondlicht. »Ich werde morgen anfangen, in unserem Zimmer Kranke zu behandeln. Nach Einheitstarif. Jeder Patient 10 Kyat! Ob Husten oder Tripper – der deutsche Doktor behandelt zum Woolworth-Preis!«
»Ich kann auch tanzen«, sagte Siri. »Wenn du am Abend die Praxis schließt, werde ich in einer Bar tanzen.«
»Heißt das, daß du dich vor Lustmolchen ausziehen willst?«
»Wir brauchen Geld, Chandra.«
»Nicht auf diese Art.«
»Blicke fassen mich nicht an.«
»Aber bei Blicken wird es nicht bleiben! Nein! Wir brauchen eine Woche Kraft, Siri. Eine einzige Woche nur. Verdammt, warum reden wir so viel! Bis Rangun sind es noch gut vier Kilometer.«
Sie gingen weiter, Hand in Hand, und je näher sie dem Lichtermeer kamen, je länger sie durch die Villenvorstädte wanderten, den ersten Autos begegneten und eintauchten in dieses laute, überschäumende, geliebte dreckige Leben, um so langsamer wurden ihre Schritte.
Neben ihnen hielt plötzlich ein Auto. Haller riß Siri hinter sich und duckte sich. Aber es war nur eine Taxe.
Der Fahrer steckte den Kopf durch das heruntergekurbelte Fenster und grinste.
»Wollen mitfahren?« fragte er auf englisch. »Bin leer.«
»Wollen gern!« Dr. Haller trat an den Wagen heran. »Aber da gibt es eine Schwierigkeit: Wir haben wenig Geld.«
»Wieviel wollen geben?«
»Von Wollen kann gar keine Rede sein. Was verlangen Sie?«
Daß ein Ausländer ihn mit Sie anredete, machte Dr. Haller dem Fahrer sofort sympathisch. Er grinste wieder.
»Alles ausgegeben, Sir?«
»Leider.«
»Da ich leer bin und doch fahren muß in Stadt, ist kein Problem, Sir. Geben Sie 5 Kyat?«
»Das Geschäft ist gemacht.« Haller riß die Tür auf. »Mein junger Freund, Sie sind ja billiger als ein deutscher Arzt! Der verlangt 10 Kyat.«
Der Chauffeur wartete, bis Siri im Fond und Haller neben ihm saß.
»Deutsches Arzt für 10 Kyat? In Rangun? Unmöglich. Verlangen schon Birma-Arzt 50 Kyat!«
»Einen solchen Idioten, der's für 10 Kyat tut, gibt es aber. Bestimmt.«
»Wo, Sir?«
»Das wird sich in einer halben Stunde herausstellen. Dort, wo er ein sehr billiges, aber trotzdem nicht verwanztes Zimmer ohne Ratten und Flöhe mieten kann. Wo er Kranke behandeln kann, bis er sich eine schöne Praxis leisten kann. Kennen Sie so ein Luxushotel?«
Der Fahrer starrte Dr. Haller an. »Sie sind deutsches Arzt?«
»Ja, mein
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