Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Sohn.«
    »Sie behandeln für 10 Kyat?«
    »Vorübergehend ja. Zum Einführungspreis! Aber wenn Sie mir dieses saubere billige Zimmer besorgen, erhalten Sie zeit Ihres Lebens Sonderrabatt. Nulltarif. Einverstanden?«
    »5 Kyat Fahrgeld!« sagte der Chauffeur und hielt die flache Hand hin. Von hinten reichte ihm Siri ein Geldstück. Er steckte es in einen Lederbeutel, der um seinen Leib geschnallt war, und ließ den Motor wieder an. »Welche Krankheit habe ich?« fragte er.
    »Machen Sie mal das Deckenlicht an, mein Sohn.«
    Der Fahrer griff nach oben. Die kleine Lampe erhellte notdürftig das Wageninnere. Dr. Haller beugte sich über den jungen Mann, zog die Augenlider herunter und drehte sein Gesicht zum Licht.
    »Sie rauchen Opium, Sie Lümmel!« sagte er dann. »Und die Gelbsucht haben Sie auch gehabt.«
    »Stimmt, Doktor. Sie sind ein guter Arzt! Sprechen Sie mal deutsch!«
    »Leck mich am Arsch!«
    »Sehr gutes Deutsch! Ich bin erster Patient! 10 Kyat. Wann ich darf kommen?«
    »Morgen früh um zehn.«
    »Okay!« Der Wagen ruckte an. Haller fiel zurück in den Sitz. Siri knipste die Deckenlampe aus. »Ich werde sagen allen Kameraden von deutschen Arzt. Sieht Krankheit im Auge! Werde sagen Chin-hao-Chin, daß gutes Zimmer läßt für deutschen Arzt …«
    Mit einem Tempo, das Haller in seiner besten Zeit nicht gewagt hätte, schoß der Wagen in den abendlichen Verkehr von Rangun.
    Der Gastwirt Chin-hao-Chin betrieb ein Hotel in der Altstadt, dem ein Eßlokal angegliedert war. Während seine Küche berühmt war und viele Europäer in den folkloristisch ausgestatteten Gasträumen saßen und das bewunderten, was sie für original China hielten, war das ›Hotel‹ nur einem kleinen Kreis durchreisender Chinesen bekannt. Bei Chin-hao-Chin gab es keine Kakerlaken im Zimmer, keine Mäuse unter den Dielen, die nachts raschelten und knackend fraßen, und hinter den Tapeten klebten keine Wanzenheere. Es waren saubere, ziemlich große Zimmer mit Fenstern zum Hof. Und das war der einzige Nachteil. Denn vom Hof herauf stanken die Küchenabfälle, miauten die Katzen, balgten sich fauchend die Kater und strich ständig der Duft aus der Küche an den Fenstern vorbei. Zugegeben – es waren zum Teil herrliche Düfte, wenn Chin-hao-Chin Hühner briet, Hammelkeulen oder Leberspießchen, aber immer in einer Duftwolke leben, ist nicht jedermanns Sache.
    Chin-hao-Chin kam selbst auf die Straße, nachdem der Taxifahrer zunächst allein in das Hotel gegangen war. Es war ein schmalbrüstiges Haus, das sich nach hinten verbreiterte. Ein roter Drache hing über der Tür, weil es die Touristen so wollten. Kein China ohne Drachen. Dr. Haller sah an der Fassade empor, dachte an seine paar Kyat und verkniff sich jeglichen Kommentar.
    »Wir haben keine Auswahl, Siri. Wir krabbeln aus der Gosse ans Licht.«
    Sie drückte das Gesicht gegen seinen Rücken und umfaßte zärtlich seinen Hals.
    »Wir schaffen es, Chandra«, sagte sie. »Wir schaffen es.«
    Chin-hao-Chin beugte sich ins Auto und starrte Dr. Haller ungeniert an, als wolle er einen Hammel kaufen. Er war ein dicker Mensch, klein, breitgesichtig, höflich, das beste Aushängeschild seines Unternehmens.
    »Sie sind Arzt?« fragte er auf englisch.
    »Ja. Wenn Sie ein Zimmer haben und einen Monat Kredit geben können, steige ich aus.«
    »Warum haben Sie kein Geld?«
    »Das ist eine Geschichte von über sieben Jahren. Die kann man nicht in einem Auto erzählen. Entweder Sie haben Vertrauen zu mir, oder wir lassen es bleiben.«
    »Steigen Sie aus. Ich habe Vertrauen.« Chin-hao-Chin zog den dicken Kopf zurück. »Zimmer fünf. Ist größtes Zimmer. 25 Kyat pro Tag.«
    »Da komme ich in vier Wochen hoch in die Kreide.« Haller stieg aus und dehnte sich. Chin-hao-Chin betrachtete ihn genau und war zufrieden. Er verstand etwas von Menschen. »Aber ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr. Chin-hao-Chin. Nach vier Wochen werden die Kranken die Treppe hinunter bis auf die Straße stehen, und Sie können an die Wartenden Suppen verkaufen. Oder ich bin ein totaler Versager.«
    »Was dann?« Chin-hao-Chin lächelte höflich.
    »Dann werde ich bei Ihnen Teller waschen und das Lokal schrubben.«
    Chin-hao-Chin hielt die Wagentür für Siri auf. Sie stieg zögernd aus und senkte den Kopf. Im Dschungel war sie eine Heldin gewesen. Hier, in der Stadt, war sie klein und hilflos und einsam unter Millionen. »Kommen Sie mit in Zimmer Nummer fünf!«
    In dieser Nacht schliefen sie kaum.
    Vor dem Fenster paarten

Weitere Kostenlose Bücher