Engel der Vergessenen
übrigens neue Transporte unterwegs. Einhundertzwölf neue Kranke und drei Schwestern.«
»Das ist absoluter Wahnsinn!« rief Karipuri. »Wer ist dafür verantwortlich?«
»Der Minister von Rangun.«
»Wir quellen über! Nongkai hat die Grenze seiner Aufnahmefähigkeit erreicht. Wo soll ich die Kranken unterbringen? Das neue Hospital ist noch nicht fertig, alle Hütten sind besetzt! Will man die Kranken die ganze Regenzeit über in den Zelten wohnen lassen? Im Schlamm? Was denkt man sich eigentlich in Rangun? Ich kann die Kranken nicht aufnehmen.«
»Sie sind schon unterwegs.«
Major Donyan grinste breit. Der schlanke, aristokratische Karipuri würde gleich noch mehr von seiner Gelassenheit verlieren. »Übermorgen sind sie hier.«
»Ich lehne jede Verantwortung ab!« schrie Karipuri.
»Die sollen Sie auch nicht übernehmen.« Donyan zerdrückte eine Zigarette an der Wand. Er stand mit Karipuri unter dem Dach der Veranda, auf der Taikky so gern gesessen und gegessen hatte. »Dr. Haller wird sie übernehmen.«
Es war, als schlage jemand Karipuri die Beine unter dem Körper weg. Sein braunes Gesicht wurde grau und wie leblos.
»Haller …«
»Ja. Er trifft mit dem Krankentransport ein.« Donyan betonte genüßlich jedes Wort. »Es war sein eigener Wunsch. Wir alle fragen uns, warum wohl? Haben Sie eine Erklärung dafür, Karipuri?«
In dieser Nacht verschwand auch Dr. Karipuri aus dem Dorf. Wie er aus ihm herausgekommen war, wußte niemand. Aber sein Zimmer war leer, als Doktor Butoryan vor der Visite nach ihm sehen wollte.
Wenige Minuten nachdem die Ärzte ratlos mit Minbya gesprochen hatten, dröhnte vom Dach der Kirche der hohle Riesenkürbis. Vom buddhistischen Tempel herüber klang dumpf der Trommelton der großen bronzenen Pauken. Der Mönch selbst stand vor den beiden Kesseln und hieb mit dicken Schlegeln auf das Fell. Drei Tempelgehilfen liefen mit kleinen Handtrommeln durch das Dorf und riefen die Buddhisten zusammen, wie Manoron jetzt auch seine Christen um sich versammelte.
»Unser Doktor kommt wieder!« brüllte Minbya vom Dach der Kirche. Und Manoron hob beide Arme in den regenschweren Himmel und rief: »Gott hat Nongkai nicht vergessen! Er schickt uns unseren Engel wieder!«
Bei den Buddhisten ging es feierlicher zu. Räucherstäbchen flammten auf, aus den Kupferkesseln strömte der süßliche heilige Rauch gegen das steinerne Sitzbild des Erleuchteten. Der Mönch und seine drei Gehilfen ließen die Gebetsmühlen kreisen. Ihr Rasseln klang über die gesenkten Häupter und füllte die ehrfürchtige Stille.
»Der Erhabene vergißt keinen von uns«, sagte der Mönch nach langem, stummem Gebet.
Dr. Butoryan übernahm die provisorische Leitung des Hospitals. Der Oberpfleger Pala begann mit seinen Pflegern militärisch zu exerzieren und drohte jedem mit sofortiger Entmannung, wenn er den alten Trott von Dr. Karipuri weitermache. Die letzten Anhänger und Freunde des toten Indin erschienen bei Minbya und dem Ältestenrat, fielen in die Knie und unterwarfen sich. Ihnen wurde im Namen des einzigen Gottes verziehen, was einige bewog, zum christlichen Glauben überzutreten.
»Unser Doktor kommt wieder!«
Ein Zauberwort, das die Welt veränderte.
Nongkai begann sich zu schmücken.
Bis zum nächsten Morgen wurden Girlanden geflochten, Triumphbogen aus Bambus gebaut, die Hütten mit Blumen behängt, die schlammige Dorfstraße mit Palmblättern dick belegt, als bedecke sie ein grüner Teppich.
Unser Doktor kommt zurück.
Selbst die Sterbenden in den Isolierstationen begriffen das und verdrängten den Tod, der neben ihnen saß. Verzweifelte Hoffnung ließ ihre Körper noch einmal aufbäumen und sammelte in den elenden, abgemagerten Leibern noch einmal einen Hauch von Kraft.
Durch den Dschungel streiften Donyas Patrouillen und suchten Karipuri. Ihm blieb nur der Weg über den Nongnong nach Norden. Das war der Weg, auf dem er einmal Dr. Haller in den Tod hatte schicken wollen.
Unser Doktor kommt wieder.
Die Leprakranken von Nongkai waren glücklich.
Donyan empfing Dr. Haller und Siri auf dem Flugplatz von Homalin.
Sie landeten mit einem Hubschrauber. Vor ihm hatten zwei Transportmaschinen der birmesischen Luftwaffe aufgesetzt und die neuen Leprakranken mit den sie betreuenden Schwestern ausgeladen. Einhundertzwölf armselige, ängstliche, mit hohlen Augen um sich starrende Menschen, die man im ganzen Land eingefangen hatte wie wilde Tiere und die nun glaubten, hier im tiefsten Dschungel des
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