Engel der Vergessenen
seinetwegen? »Aber ich kenne diesen Taikky nicht!«
»Sie sollen ihn auch nicht kennenlernen. Deshalb fahren wir ein wenig spazieren, Miß Berndorf.« Der Birmese saugte wieder an seiner Zigarette. Sie war kein deutsches Fabrikat, sie roch süßlich, als verdunste ein zartes Parfüm. »Donu Taikky erwartet Sie in drei Tagen in Nongkai. Die Meldung der Regierung ist gestern bei ihm eingetroffen, und er freut sich auf Sie. Noch mehr aber würde er sich freuen, wenn Sie Nongkai nie erreichen würden.«
Bettina überlief es eiskalt. Obwohl das im leichten Plauderton vorgetragen wurde – dahinter lag eine Drohung, die nicht zu überhören war. »Ich habe darauf keinen Einfluß«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Ich werde nach Homalin geflogen und dort abgeholt.«
»Man kann nur geflogen werden, wenn man in ein Flugzeug einsteigt. Ist es möglich, daß Sie den Abflug verpassen, daß Sie überhaupt vergessen, in Birma zu sein?«
»Das ist unmöglich.«
»Miß Berndorf! Die Vokabel unmöglich hat bei mir noch nie eine Rolle gespielt. Statt nach Lashio und Homalin fliegen Sie morgen schon zurück nach Europa.«
»In Nongkai warten die Leprakranken auf mich.«
»Niemand wartet auf Sie.«
»Ich habe mit Ihrem Ministerium einen Vertrag.«
»Verträge kann man vergessen. Lernen Sie bei den Politikern!«
»Ich komme im Auftrag des deutschen Entwicklungsdienstes. Ich kann doch nicht einfach alles hinwerfen und abfliegen.«
»Warum kann man das nicht? Wir bieten Ihnen 10.000 englische Pfund, das sind fast 100.000 Deutsche Mark. In Ihrer Gegenwart überweise ich sie auf Ihr Konto in Deutschland.«
»Und warum?«
»Das ist die einzige Frage, die Sie nicht stellen dürfen.« Der Birmese lächelte freundlich. Der schwarze Buick fuhr jetzt durch eine Villengegend. Rangun lag weit hinter ihnen. Nur der Widerschein ihrer Millionen Lichter wölbte eine fahl schimmernde Kuppel unter dem schwarzen Nachthimmel. »Befreunden Sie sich nur mit einem Gedanken, Miß Berndorf: Ihr Nichteintreffen in Nongkai ist uns 10.000 Pfund wert! Ein solches Angebot bekommen Sie nicht ein zweites Mal.« Der Birmese legte eine kleine Denkpause ein, dann fragte er direkt: »Nehmen Sie an?«
Bettina wußte später nicht mehr, warum sie, ebenso klar wie die Frage gestellt worden war, geantwortet hatte: »Nein!«
»Das ist betrüblich.« Der elegante Birmese lehnte sich in die Lederpolster zurück. »Sie verkennen Ihre Situation, Miß Berndorf. Ich bin fast sicher, daß wir uns verstehen werden, früher oder später.«
Mit sanftem Brummen schoß der schwere Wagen durch die Nacht. Auch die Villengegend hatten sie hinter sich gelassen. Jetzt fuhren sie durch Reisfelder, hingeduckte, mit Reisstroh gedeckte Hütten standen in kleinen Gärten.
Bettina schloß die Augen. »Wohin fahren wir?« fragte sie mühsam.
»Zum Haus der sieben Sünden.«
»Ein Bordell?«
»Im Gegenteil, Miß Berndorf.« Der höfliche Birmese lächelte. »Ganz im Gegenteil. Sie werden wahrscheinlich der erste Gast sein, der es lebend wieder verläßt.«
Das war der Augenblick, in dem Bettina die Besinnung verlor. Sie fiel nach vorn, der Birmese fing sie auf und legte ihren Kopf an seine Schulter, damit sie nicht umsank.
Dann klopfte er mit seinem Stöckchen viermal rhythmisch gegen die Trennscheibe. Der schwarze Buick bog von der Straße auf einen Feldweg ab und fuhr langsam, den weichen Boden unter sich aufwühlend, in das von Reisfeldern zerteilte Land.
Um die gleiche Zeit saßen Donu Taikky und Doktor Karipuri beim Tee auf der Terrasse des Verwaltungsgebäudes und waren in ihrer Überlegung, wie man Dr. Haller unschädlich machen könne, nicht einen Schritt weitergekommen. Die Leibwache, die er sich zugelegt hatte, komplizierte alles. Auch einen Mord.
»Jetzt müßte er mit ihr reden«, sagte Taikky und blickte auf die Armbanduhr. »Verlassen Sie sich darauf: Hanyan wird es schaffen. Er muß es schaffen! Verdammt, ein Europäer in Nongkai ist genug!«
Dr. Adripur kam am späten Nachmittag von den Außenstellen zurück. Er hatte die Leprösen in den Hütten bei den Reis- und Weizenfeldern, in der kleinen Tabakplantage und bei den Teepflanzungen versorgt. Es waren nur noch wenige Kranke gewesen. Die meisten waren am frühen Morgen nach Nongkai gekommen, um die erste richtige Visite des deutschen Arztes mitzuerleben. Jetzt zogen sie, wie eine Kompanie gut gedrillter Soldaten, singend zurück in die dem Dschungel abgerungenen Felder.
Adripur traf Dr. Haller bei einem
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