Engel der Vergessenen
elektrische Impulse jagen zwischen ihnen hin und her. Menschen mit einem feinen, auf leiseste Schwingungen ansprechenden Nervensystem spüren das deutlich – andere merken es nie. Das sind die, von denen man sagt, sie hätten ›ein dickes Fell‹. Aber auch sie kommen gelegentlich in Situationen, in denen sie von unerklärlichen Vorahnungen befallen werden.
Einen solchen Augenblick erlebte Bettina Berndorf, als sie in der Altstadt von Rangun aus einer Fahrrad-Rikscha stieg und das Restaurant ›Zum aufblühenden Lotos‹ des in ganz Rangun berühmten chinesischen Kochs Tu-dong-Fu betreten wollte. Der Chefportier ihres Hotels hatte das Lokal empfohlen, die Rikscha auf der Straße herangewinkt und ›einen schönen Abend‹ gewünscht.
Bettina wollte sich, von einer merkwürdigen Ahnung getrieben, umdrehen, als hinter ihr ein leichter Windzug entstand und eine helle Männerstimme leise sagte: »Gehen Sie weiter, Miß! Weg von der Tür. Schreien Sie nicht. Eine schreiende weiße Frau im Arm eines Birmesen wird hier nicht beachtet. Und ich müßte die Arme um Sie legen.« Die Stimme sprach ein klares Englisch, etwas singend, zu melodisch, aber sonst im besten Oxfordstil. »Gehen Sie nach rechts weiter. Sehen Sie den Wagen dort an der Ecke?«
Bettina nickte. Sie wollte ja sagen, aber es war kein Laut in ihrer Kehle, nur nacktes Entsetzen.
»Es ist mein Wagen, Miß Berndorf. Bitte, bleiben Sie nicht stehen. Haben Sie keine Angst. Es handelt sich nur um eine Unterhaltung. Man hätte sie auch im Hotel führen können. Aber dann wären Schwierigkeiten entstanden, denn man weiß ja nie, wie wir uns einigen werden. So ist es einfacher für beide Teile. Bitte, gehen Sie nicht so schnell. Wir haben Zeit. Und noch einmal: keine Angst, Miß Berndorf.«
Steif, wie eine aufgezogene Laufpuppe, ging Bettina die Straße hinunter zu dem großen schwarzen Wagen an der Ecke. Erst jetzt, nachdem ersten Schreck, fiel ihr ein, daß der Fremde hinter ihr ihren Namen genannt hatte. Sie holte tief Luft und gab sich alle Mühe, den Satz klar zu sprechen.
»Woher kennen Sie mich?«
»Später, Miß Berndorf. Im Wagen unterhalten wir uns.«
Sie erreichten das Auto, einen alten, gewaltigen Buick mit grüngetönten Scheiben und Lederpolstern. Ein Arm griff an Bettina vorbei und öffnete die Tür. Sie stieg ein und warf den Kopf herum. Der Mann, der neben ihr in das Auto sprang, war mittelgroß, trug einen modischen, grobgeflochtenen Strohhut und einen leicht gelblichen Seidenanzug. Er war ein Birmese. Sie sah es im Widerschein der Lichtreklamen. Sehr gepflegt, vielleicht Mitte Dreißig, ein intelligentes Gesicht, das sie höflich anlächelte.
»Was wollen Sie?« fragte sie laut. Vor ihr, durch eine Scheibe getrennt, saß ein Chauffeur in weißer Livree. Der elegante Birmese klopfte mit einem Stöckchen gegen das Fenster, der Chauffeur nickte, und lautlos fuhr der Buick an. Sie rollten an einer großen Parkanlage vorbei und bogen in eine breite Straße ein. Der Wagen nahm schnellere Fahrt auf und brachte sie aus der Stadt hinaus.
»Sie wollen nach Nongkai?« fragte der elegante Birmese, während Bettina aus dem Fenster sah und hoffte, sie kämen an eine Kreuzung, wo ein Polizist den Verkehr regelte. Aber die Kreuzungen waren nicht mehr besetzt, die Polizei hatte um diese Zeit Streife zu fahren – aber nur in der Innenstadt und in dem Gewühl der Hafengassen.
Bettina wandte sich ihrem Begleiter zu: »Wer sind Sie?«
»Das ist eine Frage, die eine ehrliche Antwort ausschließt.« Der Birmese griff in die Tasche und hielt Bettina höflich ein goldenes Etui mit Zigaretten hin. Sie schüttelte den Kopf. Die Übelkeit der Angst würgte sie wieder. »Es sind deutsche Zigaretten.«
»Trotzdem«, sagte sie mühsam, »jetzt nicht.«
»Wer ich bin? Miß Berndorf, ich könnte Ihnen sagen: ein Mann! Das wäre nicht gelogen und wäre auch genug. Aber wir wollen uns unterhalten.« Er steckte sich eine Zigarette an und rauchte. »Sie waren im Ministerium für Gesundheit?«
»Ja.«
»Sie haben mit Mr. Cabosa gesprochen?«
»Ich weiß nicht, wie der Herr hieß. Ich habe den Namen nicht behalten.«
»Es war Cabosa. Ein guter Mensch. Unser Freund im Ministerium liefert nur erstklassige Informationen. Nur wußte er eines nicht: Ist bei Ihrem Gespräch mit Cabosa der Name Donu Taikky gefallen?«
»Ja.« Bettina sah den eleganten Birmesen erstaunt an. Schon wieder dieser Taikky. Im Ministerium will man ihm einen Orden verleihen. Entführt man sie
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