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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unter die Haut zu kriechen.‹ Und zweitens: Kennen Sie einen Kundendienst, der Röntgengeräte im Dschungel repariert?«
    »Man könnte das Gerät nach Rangun fliegen.«
    »Natürlich. Aber alles kostet Geld, und Geld liegt nur in Taikkys Tasche.«
    Adripur zuckte resignierend mit den Schultern und ging dann die Dorfstraße hinunter zum Hospital.
    Minbya sagte ehrfürchtig: »Herr, wir alle sind bereit zu helfen. Aber wo sollen wir anfangen? Bei einem Stall schafft man zuerst den Mist heraus. Aber …«
    »Genau das ist es, Minbya. Wir misten aus!« Doktor Haller spuckte den erloschenen Zigarettenstummel aus den Mundwinkeln. »Laß die Glocken läuten!«
    »Sofort, Herr.« Minbya rannte davon.
    Fünf Minuten später kletterte der ›Küster‹ auf das Dach der kleinen Bambuskirche, setzte seinen riesigen ausgehöhlten Kürbis an die Lippen und begann zu blasen. Der dumpfe, dröhnende Ton lag über Nongkai wie eine Stimme aus den Wolken. Die Abenddämmerung zog über die mit undurchdringlichem Urwald bewachsenen Hügel ins Tal. Aus der breiten Niederung mit Fluß, Sumpf und Dschungel quoll der süßlich-faulige Geruch der ständig verwesenden Natur, der schwammige Boden atmete Vernichtung aus.
    Der Mann auf dem Dach blies sich fast die Lunge aus dem Leib. Er lehnte an dem winzigen Kirchturm, der nicht mehr war als ein Bambushöcker auf dem Dach, blickte ein paarmal, wenn er Luft holte, hinunter zu Dr. Haller und erwartete ein Lob. Dr. Haller winkte zu ihm hinauf. Gut so, mein Alter. Nächsten Monat bekommst du eine Glocke. Eine echt bayerische Kuhglocke! Ich habe sie in Rangun in einem Fenster liegen sehen, in einem dieser Andenkenläden. Almgeläut in Hinterindien – da muß ein rühriger Exporteur am Werk sein. Bei der nächsten Materialmeldung geht es mit hinaus: eine Glocke aus dem Laden in der Tavoy-Street. Sie werden in Rangun dämlich gucken, aber was soll's! Das Ministerium hat zugesagt: »Mister Haller, was Sie in Nongkai brauchen, wird Ihnen geliefert. Für die Bekämpfung der Lepra tun wir alles!«
    Die Bewohner von Nongkai standen vor ihren Hütten und starrten auf Dr. Haller. Sie warteten. Was bedeutete das ›Glockenläuten‹? Es war kein Sonntag, nirgendwo brannte es, kein Getaufter war gestorben, keiner geboren worden.
    Das gleiche dachte Dr. Karipuri. Auf einem Dreirad mit dicken Ballonreifen fuhr er von der Verwaltung zu Dr. Haller. Zu Fuß folgte Dr. Adripur, begleitet von dem Pfleger Pala, der Adripurs Sachen trug, zwei Koffer und ein Transistorradio.
    »Ist der Kerl verrückt?« schrie Dr. Karipuri und bremste vor Haller. »Oder haben Sie das angeordnet?«
    »Sie haben mal wieder den richtigen Gedanken, Ratna.«
    »Und wozu dieser Unsinn?«
    »Ich leiste mir eine private Begrüßung anläßlich meiner Übersiedlung nach Nongkai.«
    »Sind Sie wieder betrunken?« fragte Karipuri.
    »Noch nicht.«
    »Adripur stammelte auch so etwas. Ich habe ihn hinausgeworfen. Da kommt er ja, mit allen seinen Sachen. Stimmt das? Sie wollen in einer Eingeborenenhütte wohnen?«
    »Ja. Dort, die siebente neben der Kirche. Vier Frauen richten sie gerade her. Früher wohnte darin die Familie Sipein. Vater, Mutter, Tochter. Zuletzt starb die Mutter, vor zehn Tagen. Ihren letzten Fieberschub – so sagt man – behandelte man mit Tee, bis der Marasmus vollständig war.«
    »Sie starb an einer sekundären Sepsis.«
    »Natürlich, woran sonst? Totgefressen hat sie sich bestimmt nicht. Die Gefahr besteht hier nicht. Dafür sorgt Taikky.«
    Dr. Karipuri stützte sich auf die Lenkstange seines Dreirads. Es war ein praktisches Gefährt, mit dem man schnell im Dorf herumkam. »Sie wollen also den Kampf, Dr. Haller?«
    »Verdammt, ich will Arzt sein, weiter nichts!«
    »Sie wollen unter den Leprösen wohnen?«
    »Ja. Spricht irgendein Gesetz dagegen?«
    »Sie haben Dr. Adripur überredet, diesen Blödsinn mitzumachen?«
    »Irrtum! Dr. Adripur ist mündig und klug genug, eigene Entscheidungen zu treffen. Er ist nicht davon abzubringen, ich habe es versucht.«
    »Sie wollen sich also zum großen Heiland machen, was? Nicht schlecht ausgedacht. In einem Monat wird man Sie anbeten und Ihnen Altäre bauen. Und so bekommen Sie durch billigste Scharlatanerie das ganze Dorf auf Ihre Seite. Sie schaffen sich so eine Art Hausmacht – wie?« Karipuri kniff die Augen zusammen. Adripur ging stolz, ohne den Kopf zu wenden, an ihm vorbei, bis zu dem Haus, das Minbya für Dr. Haller ausgesucht hatte. »Aber diesen Trick versalze ich Ihnen,

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