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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mondschein zu machen. Aber auf die Dauer war das keine Lösung. Wir werden ein Arzthaus bauen, dachte Haller. Massiv, aus Baumstämmen, mit mehreren Räumen. Es kann sein, daß sich bald zwei Gruppen in Nongkai bilden: hier die Karipuri-Gefolgschaft, dort die Haller-Mannschaft. Das würde bedeuten, daß das Hospital für ihn gesperrt blieb. Man konnte es natürlich regelrecht erobern, aber so etwas wie einen Bürgerkrieg in Nongkai anzufangen – das wäre wohl das Sinnloseste von allem Sinnlosen in diesem Lepradorf.
    Der Gedanke setzte sich in Haller fest: eine eigene Krankenstation! Eine kleine Musterklinik! Aus Nongkai eine Leprakolonie machen, wie es sie auf der Welt noch nicht gab.
    Siri hockte sich vor Haller auf den Boden. Sie legte die Hände in den Schoß und verlagerte ihr Gewicht auf die Hacken. Rätselhaft, wie ein Mensch in dieser Haltung stundenlang sitzen konnte! Haller hatte es ein paarmal probiert und war nach wenigen Minuten mit eingeschlafenen Füßen umgekippt.
    »Fehlt dir etwas Herr?« fragte sie. Ihre schwarzen Augen glänzten selbst in diesem armseligen Licht. Minbya hatte die Öllampe an die Wand gehängt. Nongkais eigener, mit Benzin getriebener Stromerzeuger versorgte nur das Hospital und das Verwaltungsgebäude. Auch das Geld für den Leitungsbau hatte Taikky auf private Konten eingezahlt. Lediglich Fässer mit ungereinigtem Erdöl, das in Birma gefördert wurde, ließ Taikky verteilen. Man hatte sich im Dorf damit abgefunden und einfache Öllampen konstruiert, aber es stank fürchterlich nach verbranntem Rohöl. In manchen Hütten konnte man den fettigen Ruß wie schwarzen Sirup von den Wänden wischen.
    Haller beugte sich vor, nahm Siris Kopf zwischen seine Hände und küßte ihre Lippen, die sich bei seiner Berührung sofort öffneten.
    »Du fehlst mir«, sagte er.
    »Ich bin hier, Herr.«
    »Verdammt, nenn mich nicht immer Herr!«
    »Wie soll ich dich nennen?«
    »Das ist wirklich eine Frage, mein Mädchen.« Haller strich ihr über das lange, glänzend schwarze Haar. Als sie sich an ihn drückte, begann es in seinen Schläfen zu klopfen. Alter Idiot, dachte er. Bisher hast du Herzklopfen nur beim Geruch von Schnaps bekommen. Mach sie nicht unglücklich, du elendes Wrack. Sie ist etwas so Junges, Reines, daß dir die Finger abfaulen müßten, wenn du sie berührst.
    »Ich heiße Reinmar«, sagte er. »Für eine asiatische Zunge unzumutbar. Bemühe dich nicht, Siri. Du kriegst es nie hin. Gibt es bei euch keinen Namen für Zärtlichkeit?«
    »Ich werde dich Chandra nennen«, sagte sie.
    »Das ist indisch oder kommt sonstwie aus dieser Ecke und heißt auch Herr.«
    »Aber es klingt besser, Chandra …«
    Er nickte, zog die vor ihm hockende Siri zu sich auf das Bett, das Minbya und drei andere Lepröse als erstes in die Hütte gestellt hatten. Sie setzte sich neben ihn, schob mit beiden Händen die langen Haare wie einen Mantel über sich und zog dann die Beine an. Ein süßlicher Geruch wehte zu ihm, und er spürte, wie der Duft ihn zu erregen begann.
    »Wonach riechst du?« fragte er. Jetzt eine von Minbyas Superzigaretten, dachte er. Diese gefährliche Süße überdecken, neutralisieren, mit männlichem Tabakqualm zerstören. Aber Minbya war nicht greifbar, Zigaretten wurden nur bei Bedarf gedreht. Er war verurteilt, Siris Zauber zu ertragen.
    »Wir reiben den Saft einer Wurzel in die Haut«, sagte sie. »Sie wächst im Sumpf. Eine einzige Blüte kommt aus der Wurzel, und sie blüht nur eine Nacht, dann muß sie sterben. Eine gelbe Blüte mit roten Rändern. Gefällt es dir, Chandra?«
    »Was willst du, Siri?« fragte er rauh.
    »Ich gehöre zu dir, Chandra.«
    »Dein Vater wird dich verprügeln!«
    »Mein Vater weiß es. Er hat mich gesegnet.«
    »Und deine Mutter?«
    »Sie hat Reis über mein Haupt gestreut, Chandra.«
    »Du meine Güte!« Haller rutschte vom Bett und ging in seinem Hüttenabschnitt hin und her. Wenn jetzt Adripur nebenan wäre, gäbe es kein Problem, dachte er. Warum muß der Junge so diskret sein und davonlaufen? Eine Situation, von der alle Männer träumen, nur ich muß vor ihr wegrennen. Siri, du süß duftende gelbe Blüte mit den roten Rändern. Ich bin ein Wrack! Verdammt, ich könnte dich lieben. Aber was dann? Was folgt, kleine Siri?
    Dr. Haller blieb stehen und zog ihr Gesicht an den Haaren hoch. Ihre Augen sahen ihn fast demütig an. Die Arme lagen gekreuzt auf ihren Brüsten. Ein Bild wie aus einem Tempel. Eine Jungfrau wird dem Gott geopfert, von dem

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