Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Sohlen.
    Dr. Haller lächelte. Da hat ihr einer etwas erzählt von Schlangenbissen. Aber eine Schlange beißt kaum in die Fußsohle. Man müßte sich da schon reichlich idiotisch anstellen.
    Er legte die Pinzette, mit der er gerade ein paar Gewebeteile gefaßt hatte, zur Seite und putzte die Hände in den Handschuhen an einem Tuch ab. Bettina blieb in der Tür stehen.
    Man hat ihr schon von mir erzählt, dachte Haller. Jetzt kommt sie, das Wundertier anzusehen.
    Er ging auf sie zu und vergaß, daß er eben noch ein volles Glas Reiswein getrunken hatte und eine gewaltige Alkoholfahne ihm vorauswehte. Als er vor Bettina stehen blieb, verzogen sich leicht ihre Mundwinkel.
    »So sehe ich aus«, sagte Haller. »Genau so. Was Taikky oder Karipuri über mich erzählt haben, ist Quatsch.«
    Bettina wandte den Kopf etwas zur Seite. Ihr Blick wurde hart. Dieser Schnapsdunst!
    »Schämen Sie sich! Sie sind ja betrunken!« sagte sie. Sie verließ den OP.
    Einen Augenblick blieb Haller stehen, dann drehte er sich um und lächelte verzerrt. Er hatte sich wieder gefangen. »Das ist ja herrlich!« sagte er. »Das kann ja heiter werden.«
    »Was hat sie gesagt?« fragte Adripur.
    »Sie meint, ich sei besoffen!«
    Er ging zum OP-Tisch zurück und nahm die Pinzette wieder auf. Als er mit ihr zufaßte, bebte seine Hand, und er griff in gesundes Gewebe statt in das lepröse. Schnell sah er hinüber zu Siri. Sie reichte ihm einen Tupfer.
    »Ich hasse sie!« sagte sie durch die geschlossenen Lippen. »Chandra, ich hasse sie wie die Lepra …«
    Am Abend traf Haller Bettina Berndorf in der kleinen Bambuskirche.
    Er hatte noch seine Visite bei den ambulanten Patienten gemacht und war nun so müde, daß er kaum mehr sah, wohin er trat. Dr. Adripur hatte sich sofort nach der letzten Operation alles vom Leib gerissen, war unter die Dusche gewankt, hatte sich zehn Minuten lang vom kalten Wasser durchweichen lassen und war dann in Hallers Hütte aufs Bett gefallen.
    »Das ist höllisch, Doktor«, sagte er mit schwerer Zunge. »Und Sie wollen noch Besuche machen? Wie halten Sie das bloß aus? Was sind Sie für ein Mensch?« Adripur drehte sich auf die Seite und begann sofort mit offenem Mund zu schnarchen.
    Der Krankenpfleger Pala hatte es einfacher. Er legte sich, nachdem er den letzten Operierten weggefahren hatte, einfach auf ein freies Bett im Hospital, so wie er war, angezogen, mit den Schuhen an den Füßen, rollte sich zusammen wie ein Igel und war nicht mehr ansprechbar.
    Auch Siri kapitulierte. Sie ging zwar mit Haller zu seiner Hütte, wo jetzt ganz selbstverständlich auch ihr Platz war, und sagte: »Ich trage deine Tasche, Chandra, wenn du zu den Ambulanten gehst.« Aber als sie auf dem Bett saß, um zu verschnaufen, fielen ihr die Augen zu, und sie sank zur Seite. Haller legte sie aufs Bett, zog sie aus und deckte ein Laken über sie. Dann küßte er sie und schloß das Moskitonetz über dem Bettgestell.
    Ich gehöre noch nicht zum alten Eisen, dachte er, als er seine Besuchsrunde aufnahm. Ich werde es allen beweisen. So wie ich früher jeden unter den Tisch getrunken habe, so werden sie umfallen, wenn sie neben mir arbeiten.
    Er war stolz auf die heutige Leistung, zwang die bleierne Müdigkeit aus seinen Knochen, scherzte mit den Kranken und stärkte sie mit Vertrauen und Zuversicht.
    Auch Minbya besuchte er. Der bot Haller frische Früchte an, und Minbyas Frau kochte einen starken mit köstlichem Honig gesüßten Tee.
    »Ich habe etwas mit dir zu besprechen«, sagte Haller. Er hatte Minbyas Nase untersucht. Die Ulzeration war zum Stillstand gekommen, nicht durch ärztliche Leistung, sondern weil es eine Eigenschaft der Lepra ist, in Schüben zu verlaufen. Minbya hatte Ruhe bis zum nächsten Schub. Und bis dahin hoffte Haller, alle Mittel, die er angefordert hatte, in Nongkai zu haben. Auch Minbyas Hände, dick mit Knoten überwuchert, sahen aus, als könne man sie retten, wenn genügend Fanasil eintraf.
    »Was ist mit Siri?« fragte Haller.
    Minbya sah ihn über seine Nasenbinde abwartend an. »Sie ist ein gesundes, kluges, treues Mädchen, Herr.«
    »Das bezweifelt keiner. Aber sie liegt in meinem Bett.«
    »Die Liebe, Herr …«
    »Sprechen wir offen miteinander, Minbya.« Der Honigtee durchrann ihn wie Feuer, aber die bleierne Müdigkeit vertrieb er nicht. »Ihr habt Angst, daß ich es mache wie viele Ärzte von Nongkai: abhauen, wenn ich es satt habe. Ihr habt Angst, daß auch mich der Dschungel schafft, daß Karipuri mich

Weitere Kostenlose Bücher