Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
seichte Wasser schien ihre Brutstätte zu sein.
    »Nichts wie weg von hier«, sagte Haller. Er riß an der Zugleine, der Motor blubberte etwas und schwieg.
    Noch dreimal versuchte Haller zu starten, tippte auf den Schwimmer der Benzinzufuhr, riß wieder an der Leine. Der Motor sprang an, aber als Haller das Gas aufdrehte, starb er sofort wieder ab.
    Die Krokodile umgaben das Boot wie ein Rahmen mit tausend Höckern. Sie schienen sich nach einem ganz bestimmten Belagerungssystem zu formieren. Die kleinen Echsen schwammen am Rand des Ringes und lugten neugierig zu dem fremden Ding hinüber, das in ihren Lebensraum hineingefahren war. Im Innenkreis aber bewegten sich, noch träge und abwartend, die großen Tiere, mächtige, grünbemooste, dickhornige Krokodile, die ab und zu gähnten und Zahnreihen zeigten wie mit Nägeln bespickte Bretter.
    »Nicht schießen, Chandra«, sagte Siri ruhig. Aber ihre Augen hatten sich verändert. Sie waren so groß, daß sie das Gesicht beherrschten. »Sie werden über das verwundete Tier herfallen und es zerreißen …«
    »Und dann zerreißen sie uns.«
    »Sie werden sich alle auf den Verwundeten stürzen, mit den Schwänzen um sich schlagen und das Boot zertrümmern und umwerfen. Schieß nicht, Chandra!«
    Haller legte das Gewehr vor sich auf den Sitz und kümmerte sich wieder um den Motor. Der Aufmarsch des Krokodilheeres machte ihm Angst, er leugnete es nicht. Im Bett zu sterben ist angenehmer, dachte er sarkastisch. Früher hatte ich alle Chancen, in einem Nachtasyl oder auf der Straße zu verrecken. Auch das ist noch besser, als in ein Krokodilrudel zu fallen und zerrissen zu werden. Das ist ein Tod, den ich bei allen Sauereien, die ich im Leben machte, nicht verdient habe. Das nicht!
    Es gab nur eine Möglichkeit, das zu verhindern: den verdammten Motor so schnell wie möglich in Gang zu bringen, und dann nichts wie weg aus dieser Bucht!
    »An alles haben wir gedacht, Siri«, sagte er. »Nur nicht an zwei Ruder oder Paddel. Eigentlich gehört das zur Ausrüstung eines Motorbootes, aber was ist in Nongkai schon in Ordnung? Hier –« er klopfte mit der Faust gegen zwei Laschen an der Bordwandinnenseite … »Hier waren sie mal. Achtung!«
    Ein großer, kräftiger Bursche schwamm in gerader Richtung auf das Boot zu, den breiten, langen Kopf flach über der Wasseroberfläche. Seine mörderischen Augen starrten Haller an, als wollten sie ihn hypnotisieren.
    »Halt dich fest, Siri!« schrie Haller. »Der Tanz beginnt!«
    »Nicht schießen, Chandra!« schrie Siri hell. »Nicht schießen!«
    »Soll ich ihn wegstreicheln?« brüllte Haller. Aber er schoß nicht. Er drehte das Gewehr um, spreizte die Beine und hieb der Echse den Gewehrkolben zwischen die Augen.
    Das war zwar die härteste Stelle am ganzen Körper, und Haller schien es, als habe er den mordgierigen Burschen nur gestreichelt, aber das Krokodil reagierte trotzdem, drehte ab und schwamm an der Bordwand vorbei. Ein mächtiger Schwanzschlag traf das Boot, es zitterte durch und durch. Haller war froh, daß es ein festes, solides Kunststoffboot war und kein leichter Eingeborenenkahn.
    »Das ist zum Kotzen!« brüllte Haller. »Dieser Scheißmotor! Einen, zwei oder zehn dieser Schläge hält das Boot aus, aber keine hundert! Wenn die Biester taktisch denken könnten, wären wir längst nicht mehr da.«
    Er schraubte den Deckel des Benzinbehälters auf. Er war fast leer, nur noch ein halber Liter, aber zum Anspringen mußte das reichen.
    Vielleicht ist irgend etwas schief an dem Ding, und es reicht doch nicht, dachte Haller. Er kletterte nach vorn zu Siri, griff nach einem Benzinkanister, gab Siri einen schnellen Kuß und spürte, daß ihre Lippen kalt waren vor Angst.
    »In drei Minuten sind wir weg!« sagte er. »Benzin rein, und schon donnern wir los. Jeder Motor hat seine Tücken. Wie schöne Frauen.«
    Er lachte, trug den Kanister zum Motor, schraubte ihn auf und setzte den Ausgießer auf das Gewinde. Dann stockte er, starrte Siri ungläubig an. Aus dem Erstaunen wurde blankes Entsetzen.
    Er schnupperte an dem Kanister und ließ ihn dann fallen. »Einen anderen!« schrie er. Seine Stimme klang ganz fremd. »Siri, den nächsten Kanister …«
    Sie sah ihn verständnislos an, schleppte den nächsten der roten Blechbehälter zu ihm und drehte den Deckel auf.
    Haller roch an der Öffnung und ließ den Kanister fallen. »Der nächste …«
    Es war eine schreckliche Wiederholung. Kanister, aufschrauben, riechen, wegwerfen. Kanister,

Weitere Kostenlose Bücher