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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kraft schuldig. Ich bin so ein Büffel. Und jetzt senke ich die Hörner und greife an.«
    »Sind Sie denn angeschossen?« fragte Dr. Adripur.
    »Ja, das bin ich!«
    Er drehte sich um und lief den langen Flur hinunter und hinaus.
    Draußen war ein heißer Tag wie seit Wochen nicht. Der Dschungel dampfte, über den Urwäldern stand eine flimmernde Dunstglocke, vom Nongnong zog der faulige Atem der Verwesung über das Dorf.
    Haller sah Karipuri mit den beiden neuen Ärzten über den Marktplatz gehen und mit weiträumigen Armbewegungen Erklärungen abgeben. Ob er von den geköpften Brüdern Khawsa erzählte? Wohl kaum. Aber er schien das Gewimmel an den neuen Hütten als sein Werk vorzuzeigen und sparte gewiß nicht mit tönenden Worten. Warum Taikky an diesem Rundgang nicht beteiligt war, wußte Haller nicht zu erklären. Vielleicht kümmerte er sich um die Krankenschwestern und die Begleitsoldaten des Transportes.
    Haller stand ein paar Minuten in der heißen Sonne, blickte über Nongkai und war einen Moment stolz auf das, was er in den wenigen Tagen bereits geschaffen hatte. Wenn mir mein Körper noch ein Jahr Zeit gibt, oder zwei oder auch drei, dann wird dieses Dschungeldorf nicht mehr ein Müllplatz mit lebendem Unrat sein. Dann werden hier saubere Hütten stehen, eine voll eingerichtete Spezialklinik, es wird eine Wasserleitung geben, für jeden elektrisches Licht, sie werden sich in Waschbecken waschen und nicht mehr im ungereinigten Flußwasser, sie werden nicht mehr über Erdgruben hocken müssen, sondern richtige Toiletten haben. Sie werden wieder Menschen geworden sein.
    Er lehnte sich an die Wand, er wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, der plötzlich aus ihm hervorbrach wie aus einer Quelle, ein klebriger, kalter Schweiß, aber als er die Hand hob, begann er am ganzen Körper zu zittern, in der glühenden Sonne befiel ihn eisige Kälte, das Frieren lief vom Hinterkopf den Nacken hinunter über das Rückgrat bis in die Zehen.

»Jetzt noch nicht!« wollte er sagen. »Bloß jetzt noch nicht! Nein! Nein! Das ist zu früh …« Aber er konnte nicht mehr sprechen. Auch seine Lippen vereisten, waren taub wie die Ohren, in denen alle Geräusche abstarben. Die Welt um ihn herum war ohne Laut und von einer gespenstischen violetten Färbung.
    Aber denken konnte er noch. Und er dachte: Ein angeschossener Wasserbüffel greift an. Das ist er seiner Kraft schuldig. Er greift an! Er greift an …
    Und dann ging er, taumelte auf eisigen Beinen durch eine violette lautlose Welt, erreichte seine Hütte und sagte immer wieder zu sich: Er greift an! Er greift an! Er greift an!
    Dann war auch das vorbei. Das Eis erreichte sein Gehirn. Die Kälte ließ ihn erstarren, machte ihn unbeweglich wie einen Eiszapfen, und wie ein Pfahl fiel er nach vorn über das Bett und verlor die Besinnung.
    Der Anfall ging schnell vorüber – aber das war eine relative Feststellung. Dr. Haller erwachte aus seiner Besinnungslosigkeit, als Siris Stimme über ihm sagte: »Chandra, es ist alles vorbereitet. Wir können operieren.«
    Er schlug die Augen auf und wunderte sich, daß er noch lebte. Vorsichtig bewegte er die Finger, es gelang. Er bewegte die Füße, die Beine, zog sie an, hob die Arme, drehte den Kopf nach links und nach rechts – alles funktionierte normal. Aber er blieb liegen, sah Siri mit einem merkwürdigen, abwesenden Blick an und hatte Angst, sich aufzurichten.
    Irgendwo bin ich zerstört, dachte er. Nicht das Hirn – es denkt wieder. Dieser Eisstrom in meinem Inneren hat sich aufgelöst. Jetzt ist mir heiß, als läge ich auf einer Ofenplatte. Diese Extreme sind alarmierend. So etwas verschwindet nicht spurlos wieder … da bleibt etwas zurück, etwas Irreparables, und das sitzt in meinem Körper und lauert darauf, sich mir zu zeigen. Aber wo, verdammt, wo? Wie sieht mein Gesicht aus? Ist eine Facienlähmung zurückgeblieben?
    »Wie lange habe ich gelegen?« fragte er. Sogar seine Stimme war wieder normal.
    »Vielleicht eine Stunde. Wir haben dich gesucht. Zu Karipuri bist du nicht gegangen … er steht jetzt mit den neuen Ärzten und den Schwestern im Hospital und wartet darauf, daß wir operieren.«
    »Er soll sich zum Teufel scheren!« sagte Haller. »Ich veranstalte keine Demonstration.«
    »Bist du müde, Chandra?« Sie beugte sich über ihn, küßte seine Augen, seine Schläfen und seinen Mund und streichelte sein Gesicht.
    Also keine Facienlähmung, dachte er verwundert. Siri würde sofort sehen, wenn ich ein

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