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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlafen. Haben Sie ihm schon geschrieben?«
    »Nein.«
    »Das sollten Sie aber. So eine Type wie mich können Sie nicht jeden Tag schildern.«
    »Ich werde ihm nie schreiben. Das ist vorbei.«
    Sie stand nahe vor ihm, ihr blondes kurzgeschnittenes Haar leuchtete rötlich in der Sonne. Sie hatte den weißen Kittel aufgeknöpft, darunter trug sie eine dünne, fast durchsichtige Bluse. Ein Halter aus Blütenmuster-Spitzen umspannte ihre volle Brust.
    »Sie sollten ihm doch schreiben, Bettina«, sagte Haller mit spröder Stimme. »Brücken hinter sich abzubrechen, ist eine verteufelte Sache. Nachher steht man am anderen Ufer und ruft und ruft, und keiner hört einen. Hinüber kann man nie mehr. Aber wenigstens gehört will man werden, eine Antwort erhalten. Schreiben Sie ihm, Bettina!«
    »Es hätte wenig Sinn, Dr. Haller. Sie sind Chirurg. Sie wissen am besten, wie nützlich ein trennender Schnitt sein kann.«
    »Aber oft bleibt ein Krüppel zurück, Bettina. Ich fürchte, Siri hat recht.«
    »Was hat sie gesagt?« Ihre Stimme war unsicher.
    »Daß Sie in mich verliebt seien.«
    »So eine Dummheit!«
    »Und daß ich in Sie verliebt sei! Und das ist allerdings wahr, verdammt noch mal!«
    Er drehte sich schroff um und ging davon.
    »Minbya!« brüllte er über den Marktplatz. »Minbya!«
    Jetzt ist es heraus, dachte er. Ich mußte es ausspucken, sonst wäre ich daran erstickt. Aber jetzt wird alles noch komplizierter. Siri und Bettina, und in meinem Inneren, in irgendeiner Hirnwindung, der lauernde Zusammenbruch …
    Minbya kam von einem der neuen Häuser herüber. Es war das letzte, das noch mit einem Flechtdach eingedeckt werden mußte. Die Frauen und Kinder, die Tag und Nacht gearbeitet hatten, lagen jetzt in ihren Hütten und schliefen wie Narkotisierte. Besonders erschöpft war Manorons Kirchenchor; er hatte keine Stimme mehr. Heiser, hohlwangig, aber sich mit aller Energie aufrecht haltend, saßen die unermüdlichen Sänger in der Kirche und beteten ihren Dank. Die Religionsunterschiede waren völlig verwischt. Manoron stand vor dem Altar in seiner langen weißen Soutane, und neben ihm betete ein Buddhist im faltenreichen, orangegelben Gewand.
    »Minbya, besorge Schweine und Hammel, daß alle satt werden können«, sagte Haller. »Sie sollen heute abend auf dem Marktplatz über großen Feuern gebraten werden.«
    »Das ganze Vieh gehört der Verwaltung, Doktor.«
    »Kauf es Taikky ab. Ich gebe dir Geld. Wie ist's mit dem Trinken?«
    »Wir haben Selbstgebrannten Schnaps und Wein genug.«
    »Heraus damit aus den Verstecken. Es soll ein Fest werden, bei dem jeder einmal glücklich ist. Ich bin so froh, bei euch zu sein …«
    Er zog Minbya an sich, und plötzlich begann der alte, kleine nasenlose Mann zu weinen, ergriff Hallers Hand und küßte sie andächtig. Dann riß er sich los und rannte schreiend weg. Was er brüllte, verstand Haller nicht. Es war der birmesische Dialekt der Bauern, aber die Männer bei den neuen Hütten jubelten, warfen die Arme hoch und tanzten umeinander.
    Bei Einbruch der Dunkelheit loderten sieben große Feuer auf dem Marktplatz. Minbya hatte eingekauft, und Taikky hatte nicht gefragt, wo das Geld herkam – er ahnte es. Er wunderte sich bloß, wie Haller an eine so große Summe gekommen war. Als er in Nongkai eingetroffen war, schien er völlig blank zu sein. Selbst ein Bettler vor der goldenen Pagode von Rangun war reich gegen ihn. Jetzt drückte er Minbya ein paar tausend Kyat in die Hand und lud das ganze Dorf zu einem Supermahl ein.
    Ja, das ganze Dorf mit Frauen und Kindern saß um die Feuer, aß und trank, schwatzte und lachte, vergaß sein Leid, vergaß die Krankheit, vergaß die ungewisse Zukunft. Die jungen Männer und die Mädchen tanzten zwischen den Feuern, und die Alten klatschten den Takt dazu und wiegten die Köpfe im Rhythmus.
    Dr. Haller stand an der Wand des Bürgermeisterhauses und sah zu. Er hatte ein Stück Schweinebraten gegessen, aber den scharfen Schnaps lehnte er ab. Bettina und Dr. Adripur tanzten unter den Kranken, und sogar der finstere Pala saß vorn in der ersten Reihe und dirigierte mit einem Knochen den Gesang.
    »Willst du nicht auch tanzen, Chandra?« fragte Siri. Sie war lautlos an ihn herangetreten und schob ihre Hand in die seine.
    Er dachte an seinen Anfall und schüttelte den Kopf.
    »Ich will mit dir tanzen«, sagte sie. »Oder bist du nicht glücklich?«
    »Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich, Siri.«
    »Dann zeige es allen deinen

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