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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schiefmaul geworden wäre. Was aber ist zurückgeblieben? Auch ein Warnschuß ist immer ein scharfer Schuß und reißt irgendwo Löcher.
    »Ich habe geschlafen, was?«
    »Ganz fest. Ich mußte dich viermal küssen, ehe du wach warst.«
    Sie merkt nichts, dachte er glücklich. Ich sehe anscheinend völlig normal aus. Das ist verrückt. Ich bin paralysiert, mein Hirn fängt an, meine Nerven zu zerstören, und niemand sieht etwas.
    »Was machen die anderen?«
    »Sie warten auf dich, Chandra …«
    »Wie hast du mich hier gefunden?«
    »Ich habe mir einfach gedacht, daß du hier bist. Du sahst so müde aus.«
    »Meine kleine, liebe Katze.« Er umarmte ihren Nacken, zog sie zu sich hinunter, und sie legte sich auf ihn und deckte ihn mit ihrem geschmeidigen, herrlichen Körper zu.
    »Sie können noch etwas warten«, sagte er und atmete tief durch.
    Es war ihm, als müsse er von einer hohen Brücke ins Wasser springen und wisse nicht, wie er unten ankommen werde und ob das Wasser wirklich Wasser war oder nur eine gefährlich täuschende Spiegelung.
    Dann wagte er es, nahm die Möglichkeit einer kläglichen Niederlage hin und knöpfte Siri den weißen Kittel auf …
    Sie liebten sich, und es war so schön wie nie zuvor. Die Nähe des Unterganges schien alles zu verzaubern, die Kraft, die aus seiner Verzweiflung wuchs, sprengte alle Maße. Als es vorbei war, und ihre schwitzenden Körper aneinanderklebten, als Siri die Nässe aus seinen Augenhöhlen küßte und ihre schmalen Hände sich gegen seine wild pochenden Schläfen preßten, sagte er atemlos:
    »Du weißt nicht, was das bedeutet hat, Siri. Das war ein Vabanquespiel. Wir haben es gewonnen … heute noch –«
    Er schloß die Augen und gab sich ihren nachschwingenden Zärtlichkeiten hin.
    Wie lange noch, dachte er. Das Eis wird wiederkommen, ganz plötzlich wie heute, und einmal werde ich erstarrt bleiben, ein Stück Fleisch mit Atem, weiter nichts. Wer ist dann so gnädig und macht mit mir Schluß?
    Die Operationen begannen eine halbe Stunde später.
    Dr. Haller sah erfrischt aus, hatte sich geduscht und war voll Gift und Galle, als er Karipuri im weißen Operationsmantel und Mundschutz, ganz steril und nach Vorschrift, geduldig auf einem Hocker im OP warten sah. Die beiden neuen Ärzte und die vier Schwestern, kleine zierliche, hübsche Birmesinnen, Porzellanpüppchen für einen Nippesschrank, standen, freundlich lächelnd und Dr. Haller zunickend und ebenfalls von Bettina mit Sagrotan eingesprüht, an den gekachelten Wänden. Dr. Adripur hatte den ersten Patienten auf dem Tisch liegen, bereit zum Amputieren. Es war ein junger Mann, der mit ängstlichen Augen um sich blickte und dem Pala gesagt hatte, was man mit ihm machen wollte. Er zitterte heftig, man hatte ihn an dem OP-Tisch festgebunden, und als Dr. Haller eintrat, begann er ein eintöniges buddhistisches Gebet zu murmeln und weinte dabei.
    »Ich grüße Sie, meine Damen und Herren!« sagte Haller laut. Bettina stand bereit mit Operationsschürze und dem sterilen Handschuhkasten. Haller, nur in weißer Hose und einem Unterhemd ohne Ärmel, begann seine Waschungen. »Das mag Ihnen blödsinnig erscheinen, sich hier so vorzubereiten, als operiere man in einer Großstadt, aber ich habe noch nie gehört, daß ein chirurgischer Eingriff auf einem Küchentisch andere Sterilisierungsregeln hat. Trotzdem ist es ein Behelf. Im Normalfall ist die aseptische Operationswäsche weiß, die septische blau, aber das können wir uns hier sparen, denn was wir hier operieren, ist durchwegs septisch.«
    »Wollen Sie einen Anfängerkursus in Operationsvorbereitung halten, Herr Kollege?« rief Dr. Karipuri spöttisch. Haller nickte ernsthaft.
    »Ich dachte, Herr Kollege, Sie sind durch langen Stillstand der Medizin entwöhnt.«
    Karipuri lief dunkel an. Aber der Konterschlag folgte sofort. »Sind Sie wieder betrunken, Herr Kollege? Soll Dr. Adripur den Eingriff vornehmen?«
    Haller lachte breit. »Ich lade die neuen Kollegen und die entzückenden jungen Schwestern ein, an mir vorbeizumarschieren und sich von mir anhauchen zu lassen. Bitte, wer fängt an? Sie, Herr Kollege?« Haller winkte einem der neuen birmesischen Ärzte.
    Sie rührten sich nicht von der Wand. Sie sahen Haller aus zusammengekniffenen Augen an.
    »Keiner?« Haller hielt die Hände vor. Bettina streifte ihm die Gummihandschuhe über. Siri stand hinter ihm und band ihm die Gummischürze um.
    »Ich liebe dich –«, flüsterte sie, als sie in seinem Nacken die Bänder

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