Engel des Todes
am Funkgerät und erstattete Bericht an die Zentrale. Der andere stand, Hände in die Hüften gestemmt, ein paar Schritte von der Leiche entfernt. So viele hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen, und alle haben sie etwas Verstörendes. Er war ehrlich froh darüber, dass bald Kollegen kommen und ihm diesen Fall abnehmen würden, damit er sich nicht in den nächsten Tagen und Wochen oder gar in alle Ewigkeit den Kopf darüber zerbrechen müsste, welchen Weg dieser ehemals lebendige Mensch genommen hatte, um zu diesem Klumpen Fleisch zu werden. Er wollte auch nicht wirklich darüber nachdenken, was einen Mann – vorausgesetzt, der Täter war ein Mann, was aber in den meisten Fällen zutraf – wohl dazu bringen konnte, sein Opfer wie Müll ins Gebüsch zu kippen. Schlimmer noch als Müll, denn im Allgemeinen machen sich die Leute die Mühe, ihren Müll, leere Büchsen oder Milchtüten, noch in eine Tüte oder einen Sack zu stecken. Diese Frau aber war achtlos weggeworfen worden, so als ob sie nicht einmal eine notdürftige Abdeckung wert gewesen wäre.
Als er hörte, dass sich sein Kollege verabschieden wollte, glaubte auch er, seine Pflicht getan zu haben. Er wollte sich schon abwenden, da sah er etwas am Kopfende der Toten glänzen. Wider besseres Wissen und ein bisschen aus detektivischem Ehrgeiz trat er einen Schritt näher an die Leiche und bückte sich, um besser sehen zu können.
Über die Todesursache, darüber war er sich mit seinem Kollegen gleich einig gewesen, brauchte man nicht lange zu rätseln. Die Frau trug ein Businesskostüm oder was davon noch übrig geblieben war. Ihr Körper unterhalb des Halses war in einem Zustand, der jeden Gedanken an Berührung verbot, so weit war die Verwesung schon fortgeschritten. Mit ihrem Kopf musste etwas geschehen sein, als sie noch am Leben war. Er sah irgendwie disproportioniert aus und war ganz mit dunkelbraunem, verkrustetem Blut und irgendetwas noch dunklerem bedeckt, weshalb keine Gesichtszüge zu erkennen waren. Inmitten dieser unkenntlichen Masse, ungefähr dort, wo die Stirn sein musste, glänzte etwas in der Morgensonne.
»Pass bloß auf«, warnte ihn sein Kollege. »Wenn du am Leichenfundort was verpfuschst, machen dich die Herren von der Kripo zur Schnecke.«
»Ich weiß, ich weiß«, versicherte er.
Und dabei lehnte er sich noch etwas weiter vor. Noch näher würde er auf keinen Fall gehen, das stand fest. Er hielt den Kopf leicht schräg, um die Lichtreflexe abzudämpfen. Der Geruch war penetrant. Der ganze Anblick war schlimm und kaum auszuhalten.
Aus dem Klumpen, der einmal eine Stirn gewesen war, ragte etwas heraus.
Er hielt die Luft an und lehnte sich doch noch weiter vor. Aus dieser Nähe waren nun auch die wimmelnden Ameisen und Insekten zu sehen. Sie schienen eifrig zu Werke zu gehen, als ob sie wüssten, dass in Kürze jemand kommen und ihnen diesen Schatz fortnehmen würde.
Von hier aus war auch der Gegenstand erkennbar, der in der Stirn des Opfers steckte. Das herausragende Ende war so breit wie eine Spielkarte, aber erheblich dicker. Was glänzte, war der Teil des Gegenstands, der nicht mit angetrocknetem Blut verschmiert war. Er schien aus Chrom oder einem anderen glänzenden Metall zu bestehen. Die Unterseite sah dagegen wie schwarzes Plastik aus.
Plötzlich erlosch auch der noch verbliebene Lichtreflex, als sich sein neugierig gewordener Kollege nun ebenfalls vorbeugte und damit die Sonne verdeckte. Der Polizist bemerkte in diesem Augenblick eine schmale Aufschrift an einem Ende des Gegenstandes.
»Was zum Teufel ist denn das?«, wunderte er sich.
Kurz nach neun Uhr stand fest, dass es sich bei dem Gegenstand in der Stirn des Opfers um eine kleine Festplatte handelte, wie sie in tragbaren Computern Verwendung finden. Kurze Zeit später erreichte diese Information das FBI -Büro in Everett, und von dort wurde sie rasch nach Los Angeles weitergeleitet. Dort sorgte sie für helle Aufregung.
Charles Monroe versuchte alles, aber Nina Baynam antwortete nicht. Er ließ trotzdem nicht locker. Irgendetwas in Monroes Leben entging seiner Kontrolle, ohne dass er begriff, wie das geschehen konnte, und dass es von Minute zu Minute schlimmer wurde, darüber hegte er keinen Zweifel. Er hatte nur einen Augenblick lang in seiner Konzentration nachgelassen und weggeschaut. Jetzt standen seine Schachfiguren plötzlich nicht mehr so wie vorher.
Seine Figuren hatten in einer Reihe gestanden. Aber jetzt nicht mehr. Ja, es sah so aus, als ob
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