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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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sogar einige fehlten.

20
    H enrickson schaltete den Motor ab und grinste Tom an. Er grinste, so schätzte Tom, wohl zum fünfzehnten Mal an diesem Morgen, und dabei war es erst zehn Uhr.
    »Sind Sie bereit?«
    Tom hielt sich am Rucksack auf seinem Schoß fest. »Ich denke ja.«
    Es war jetzt achtundvierzig Stunden her, dass er nach Sheffer zurückgekehrt war. Noch am vorangegangenen Morgen hatte er sich nach einer schlaflosen Nacht zu schwach gefühlt für eine Wanderung in die Wälder. Die Adrenalinreserven, die ihn bis nach Sheffer getragen hatten, waren aufgebraucht. Er fühlte sich erschöpft, alle Glieder taten ihm weh, und ihm war übel. Außerdem musste er unbedingt wieder Ordnung in seine Gedanken bringen.
    Henrickson hatte sofort Verständnis für die Verschiebung gezeigt und ihm geraten, sich auszuruhen.
    Das hatte Tom anfangs auch getan. Eingehüllt in alle Bettdecken, die im Hotelzimmer zu finden waren, hatte er in seinem Sessel gesessen und über vieles nachgedacht. Am frühen Nachmittag hatte er sich dann ins Auto gesetzt und war in der Gegend umhergefahren. Nach Einbruch der Dunkelheit war er wieder zum Hotel zurückgekommen, bereit für einen Kneipenabend mit dem Journalisten. Heute Morgen hatte er sich wieder stark gefühlt, wenn auch nicht in Bestform. Jedenfalls ruhiger.
    Als Henricksons Wagen auf den Rastplatz einbog, hinter dem der Wanderpfad von Howard’s Point begann, löste das bei Tom stärkere Gefühle aus, als er vermutet hätte. Bei der Rückkehr zu seinem Lagerplatz in der Schlucht hatte er sich wie ein heimkehrender Geist gefühlt. Jetzt, da er aus Henricksons Lexus stieg, fühlte er sich wie sein eigener Großvater. Der Journalist hatte auf der anderen Seite des Rastplatzes geparkt, gegenüber der Stelle, wo Tom ausgeglitten und zum ersten Mal gestürzt war, doch das machte das Déjà-vu-Erlebnis nur noch verstörender. Das Klappen der Wagentür hallte am Waldrand wider, für einen Augenblick bebte das Bild der Bäume vor seinen Augen, als ob sich dahinter eine andere Szene verberge, die nur notdürftig übertüncht sei. Seine Gefühlslage hatte sich verändert. Gewiss, als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte er einen Vollrausch gehabt, während ihn jetzt nur ein leichter Kater plagte. Auch lag nun deutlich mehr Schnee als vor ein paar Tagen.
    »Wissen Sie, Jim, es wird nicht so einfach sein, die Stelle wiederzufinden.«
    »Keine Frage.« Der Journalist hatte seinen Anzug in den Schrank gehängt und trug nun alte Jeans und eine ziemlich abgewetzte Jacke. Seinen Stiefeln sah man an, dass er viel im Gelände unterwegs war. Er hatte ein gesunde Bräune, wirkte körperlich fit und schien weitaus besser vorbereitet als Tom. »Sie waren nicht ganz beieinander, und es war fast Nacht. Das wäre keine Katastrophe, wenn Sie nicht genau die Stelle finden. Dennoch, es hätte schon was für sich …«
    »Könnten Sie mir nicht verraten, wonach wir eigentlich suchen?«
    Das sechzehnte Grinsen. »Lassen Sie sich nicht gern überraschen?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Vertrauen Sie mir. Es wäre einfach gut für das Buch. ›Kozelek geht den Weg zurück zu der Stelle, an der ein neues Kapitel in der Geschichte und der Biologie und wer weiß was noch alles aufgeschlagen wird. Sein furchtloser Begleiter zeigt auf den entscheidenden Beweis. Sie umarmen sich.‹ Das hat was mit Männerfreundschaft zu tun. Die Umarmung ist selbstverständlich nicht Pflicht.«
    Tom nickte stumm und wünschte sich, die Idee, darüber ein Buch zu schreiben, nie geäußert zu haben. Henrickson hatte versprochen, ihn nicht wieder betrunken machen zu wollen, und Tom hatte ihm vertraut. Doch am Ende des zweiten Abends mit dem Journalisten hatte er ihm so ziemlich alles erzählt, was es über ihn zu sagen gab. So gut wie alles.
    »Ich möchte mich nicht noch einmal in der Wildnis verirren.«
    »So weit wird es nicht kommen. Ich bin ein erfahrener Wanderer. Ich habe einen Kompass. Und wenn Sie keinen guten Orientierungssinn hätten, wären Sie schon nicht mehr am Leben.«
    »Da haben Sie recht.«
    Tom bewegte vorsichtig sein Fußgelenk. Es tat immer noch weh, aber die neuen Wanderstiefel stützten den Fuß. Er schnallte sich den Rucksack auf den Rücken. Diesmal hatte er eine Flasche Wasser, eine Thermoskanne mit Kaffee und ein paar Pfannkuchen dabei. Wahrscheinlich befanden sich immer noch Scherben auf dem Grund des Rucksacks, doch das störte nicht. Er hatte den alten Rucksack mitgenommen, weil er ein Erinnerungsstück war,

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